Direkt nach dem Training, am besten mit dem Fallenlassen der letzten Hantel, sollst du einen Proteinshake mit kurzkettigen Kohlenhydraten trinken und anschließend eine große, protein- und kohlenhydratreiche Mahlzeit essen. Dieses Paradigma hat sich wohl in viele Köpfe eingebrannt. Jahrzehntelang haben Bodybuilder jenen Ansatz befolgt und immer wieder gepredigt. Grund dafür sei, dass der Körper nach dem Training in einem Mangelzustand ist und Nährstoffe förmlich aufsaugt und sie zum Muskelaufbau nutzt. Man taufte diese Phase das anabole Fenster. Doch gibt es so etwas wirklich oder wird das Nährstofftiming nach dem Training überbewertet?
Nicht nur aus anekdotischen Überlieferungen einiger „Pumper“ kennen wir das „anabolic window of opportunity„, wie es im Englischen genannt wird, sondern auch aus früheren wissenschaftlichen Abhandlungen, die auf Kurzzeituntersuchungen basieren. Dabei wurde gezeigt, dass die Muskelproteinsynthese (MPS) stärker angeregt wurde, wenn Aminosäuren oder eine proteinreiche Mahlzeit direkt nach dem Training anstatt verteilt auf die Stunden danach aufgenommen wurden [13, 17]. Daher schlussfolgerte man, dass die Proteinaufnahme direkt nach dem Training essenziell für die Maximierung der MPS sei.
Allerdings handelte es sich dabei um Untersuchungen an Ausdauersportlern. Es kann davon ausgegangen werden, dass das aerobe Training die Rate der MPS vor allem in den Mitochondrien und weniger in den kontraktilen Elementen der Muskelfasern erhöht [11]. Studien an Probanden, die Krafttraining betrieben, zeigten dagegen gemischte Resultate. Rasmussen et al. gaben ihren Probanden sechs Gramm essenzielle Aminosäuren (EAAs) mit 35 Gramm Saccharose entweder eine oder drei Stunden nach einem hochvolumigen Beintraining. Die MPS wurde in beiden Situationen um 400 Prozent gesteigert, was darauf hindeutet, dass das exakte Timing weniger wichtig ist [19].
Eine weitere Untersuchung fand hingegen eine deutlich stärkere Anhebung der MPS, wenn eine Kombination aus Aminosäuren und Kohlenhydraten direkt vor dem Training anstatt im Anschluss daran aufgenommen wurde [24]. Dies scheint die vorherigen Ergebnisse zu widerlegen. Die gleiche Forschergruppe fand im Nachgang jedoch eine ähnliche MPS-Rate, wenn die Probanden 20 Gramm Whey direkt vor oder eine Stunde nach dem Workout aufnahmen [23].
Dahingegen fanden Fujita et al. keinen Vorteil in Bezug auf die MPS von der Einnahme einer EAA/Kohlenhydrat-Mischung eine Stunde vor dem Training im Vergleich zu einem Training im Fastenzustand [3]. Die Widersprüche dieser Studien werfen die berechtigte Frage auf, ob etwas wie das anabole Fenster für die Proteinaufnahme tatsächlich existiert. Die Limitation dieser Untersuchungen liegt jedoch in ihrer Messmethode. Die Qualifizierung der akuten MPS-Reaktion scheint nicht zwangsläufig mit einer langfristigen Steigerung der Muskelmasse zu korrelieren [15]. Daher müssen die Ergebnisse dieser Studien immer mit Vorsicht betrachtet und sollten nicht ohne weiteres in die Praxis übertragen werden.
Eine frühe Langzeitstudie unterstützt die These des anabolen Fensters allerdings [2]. Man verabreichte über zwölf Wochen hinweg älteren, untrainierten Probanden eine Mischung aus Magermilch und Sojaprotein direkt nach einer zweistündigen Trainingseinheit oder zwei Stunden im Anschluss. Sie trainierten an drei Tagen pro Woche. Letztlich bauten die Teilnehmer, die den Shake direkt nach dem Training zu sich genommen hatten, signifikant mehr Muskulatur auf. Diese Studie wies aber einige deutliche Limitierungen auf. Einerseits war die Teilnehmerzahl mit 13 Probanden relativ gering und, was die Möglichkeit beeinträchtigt, valide Schlussfolgerungen zu ziehen. Andererseits lag die Proteinmenge dieses Shakes bei lediglich zehn Gramm und damit deutlich unter der Menge, die heute für die Maximierung der MPS bei älteren Probanden angenommen wird [25]. Für weitere Skepsis sorgt die Tatsache, dass die Teilnehmer in der Gruppe mit zeitverzögerter Aufnahme überhaupt keinen Muskelaufbau verzeichneten, was den Ergebnissen aus anderen Studien entgegen steht [14].
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Neuere Studien
Seither sind viele weitere Studien durchgeführt worden, um den Effekt des Nährstofftimings nach dem Training zu evaluieren, jedoch mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Aus diesem Grund wurde von Alan Aragon und Brad Schoenfeld eine Metaanalyse durchgeführt, die alle bisher verfügbaren Studien zusammenfasst, die eine Proteinaufnahme in der ersten Stunde nach dem Training mit einer verzögerten Aufnahme von mindestens zwei Stunden untersuchten. Ganze 23 Studien wurden dabei beleuchtet, die insgesamt 525 Teilnehmer umfassen.
Die Auswertung dieser Ergebnisse zeigte, dass die Aufnahme von Protein in der ersten Stunde nach dem Training einen kleinen, aber statistisch signifikanten Vorteil in Bezug auf die Muskelhypertrophie liefert [1]. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es tatsächlich ein relativ enges Zeitfenster für die optimale Proteinzufuhr nach dem Training gibt, um den Muskelaufbau zu maximieren! Allerdings deutet die genaue Analyse ebenfalls darauf hin, dass diese Beobachtung allein durch eine erhöhte Gesamtproteinaufnahme erklärt werden könnte.
Grund dafür ist, dass die meisten Studien ein Placebo aus Kohlenhydraten statt einer zeitverzögerten Proteinaufnahme verwenden und daher im Schnitt lediglich auf eine Proteinzufuhr von 1,3 und 1,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht über den Tag in den Placebo-Gruppen beziehungsweise in den Interventionsgruppen kommen. Allerdings zeigt uns die aktuelle Datenlage, dass eine Aufnahme von 1,6 bis 2,2 Gramm je Kilogramm Körpergewicht in den meisten Fällen optimal erscheint [16]. Lediglich zwei der Studien wiesen ein Design auf, welches uns den Effekt einer direkten Proteinaufnahme im Gegensatz zu einer verzögerten Aufnahme unter optimalen Bedingungen vergleichen lässt. Während eine von ihnen signifikante Ergebnisse zeigte, fand die andere keinen Effekt.
Eine neuere Studie untersuchte daher die Aufnahme von 25 Gramm Wheyprotein direkt vor oder im Anschluss an ein Ganzkörpertraining, wobei beide Gruppen für mindestens drei Stunden nach dem Training keine weitere Nahrung aufnehmen durften, um vergleichbare Ergebnisse sicherzustellen [20]. Allerdings konnten auch hier keine signifikanten Unterschiede in der muskulären Hypertrophie festgestellt werden. Befürworter des anabolen Fensters behaupten, dass die Zugabe von kurzkettigen Kohlenhydraten nötig sei, da die hohe Ausschüttung des Hormons Insulin aufgrund der hemmenden Wirkung auf den Proteinabbau den hypertrophen Effekt der MPS weiter steigere. Greenhaff et al. bewiesen aber keine weitere Steigerung der MPS, wenn der Insulinspiegel über das Maß angehoben wird, welches man von einer normalen gemischten Mahlzeit erwarten kann [5]. 45 Gramm Whey Protein allein führen bereits zu einer stärkeren Ausschüttung von Insulin, weshalb eine zusätzliche Aufnahme von Kohlenhydraten überflüssig erscheint [18].
Unterstützt wird dieser Zusammenhang durch zahlreiche Studien, die eine robuste Proteinmenge allein mit der zeitgleichen Aufnahme von Kohlenhydraten verglichen und dabei keine weitere Steigerung der MPS feststellen konnten [4, 6, 7, 9, 22].
Schlussfolgerung
Basierend auf den Ergebnissen der aktuellen Studienlage ist der Mehrwert durch eine unmittelbare Proteinaufnahme im Anschluss an das Training wenn überhaupt nur sehr gering. Die Gesamtproteinaufnahme über den Tag ist der ausschlaggebende Faktor, der den langfristigen Muskelaufbau am stärksten bestimmt. Während das Timing von Nährstoffen über den Tag allgemein gesehen gewisse Vorteile bietet, ist es womöglich nicht zwingend notwendig, direkt nach dem Training einen Proteinshake zu trinken. Stattdessen reicht es bei bereits hoher Proteinaufnahme völlig aus, in den ein bis zwei Stunden nach dem Workout eine proteinreiche Mahlzeit zu essen.
Studien zeigen, dass das anabole Fenster zwar besteht, aber wesentlich länger nutzbar ist, als oftmals behauptet. Untersuchungen beweisen, dass der anabole Effekt einer gemischten Mahlzeit für mindestens sechs bis zwölf Stunden anhält [12]. Solange man in den drei bis vier Stunden vor der Belastung eine gemischte Mahlzeit zu sich nimmt, besteht kein dringender Bedarf für eine Nährstoffzufuhr unmittelbar nach dem Training. Im Rahmen eines Trainings auf nüchternen Magen könnte ein schnell verdaulicher Proteinshake wie ein Whey Protein allerdings deutliche Vorteile in Bezug auf die Maximierung der MPS erbringen.
Zusammenfassung
- Die Aufnahme von Protein nach dem Training ist wichtig für den Muskelaufbau, doch das „anabole Fenster“ ist deutlich länger nutzbar, als viele annehmen.
- Die Dringlichkeit der Proteinaufnahme nach dem Training hängt vom Timing der Pre-Workout-Mahlzeit ab. Je länger sie her ist, desto schneller sollte eine weitere Zufuhr erfolgen.
- Um die Hypertrophie zu maximieren, sollte eine hochwertige Proteinquelle in einer Menge von 0,4 bis 0,5 Gramm je Kilogramm Körpergewicht sowohl vor als auch nach dem Training im Abstand von vier bis sechs Stunden aufgenommen werden.
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Literaturquellen:
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