Wie so oft beginnen Trends im Bereich der Gesundheits- und Fitnessindustrie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA. Egal ob es Trainingsmethoden, Diäten oder Nahrungsergänzungsmittel sind. Vieles was in den Vereinigten Staaten jetzt angesagt ist, schwappt früher oder später auch zu uns nach Deutschland und Europa über. Während man schon vor ein paar Jahren Profisportler in sogenannten Kältekammern bei bis zu minus 150 Grad Celsius frieren sehen konnte, werden nun auch hierzulande immer mehr Kältesaunen eröffnet. Doch hält das Konzept, was es verspricht?
Kürzlich haben wir durch Zufall in der Nähe unseres Büros ein Schild entdeckt, worauf behauptet wurde, dass man mithilfe der Kältesauna ganze 700 Kilokalorien in nur drei Minuten verbrennen könne. Zum Vergleich: Eine durchschnittliche Person müsste für den gleichen Effekt etwa eine Stunde lang Joggen. Wäre das nicht zu schön, um wahr zu sein? Zwar kostet eine dreiminütige Anwendung knapp 30 Euro, doch man würde nicht nur Zeit sparen, sondern auch die Quälerei im Fitnessstudio. Ist es aber wirklich so einfach?
Jedem von uns ist sicherlich bekannt, dass wir mehr Kalorien verbrennen, wenn unser Körper Kälte ausgesetzt ist. Die Aufrechterhaltung unserer Kerntemperatur ist ein lebensnotwendiger Mechanismus. Fällt sie zu stark ab, verlangsamen sich nach und nach die Stoffwechselreaktionen in unserem Organismus und kommen irgendwann zum Erliegen. Die Folge: Tod durch Erfrieren. Damit das nicht passiert, hat der Mensch im Laufe der Evolution Mechanismen entwickelt, um bei Bedarf mehr Körperwärme zu produzieren. Doch das ist ein energieaufwändiger Prozess.
Die „Gänsehaut“ ist beispielsweise einer dieser Mechanismen. Tausende kleinste Muskeln unter unserer Haut spannen sich an und richten Haare auf, die dadurch mehr Luft zwischen sich einschließen und den Körper besser isolieren. Allein diese Muskelkontraktionen verbrennen in der Summe einige Kalorien. In der Atmungskette unserer Energieproduktion kann durch spezielle Proteine ebenfalls dafür gesorgt werden, dass mehr Energie für die Produktion von Körperwärme aufgewendet wird. Aber 700 Kilokalorien? Das scheint wirklich übertrieben zu sein…
Schauen wir uns doch einmal an, was die Literatur zur Kryotherapie zu bieten hat. Kälteanwendungen zur Behandlung von Schmerzen, Schwellungen und Entzündungen sind bereits seit Jahrtausenden im Einsatz und haben einen festen Platz in der klinischen Praxis. Doch noch nicht sehr lange ist es dem Menschen möglich, Temperaturen weit unter null Grad zu erreichen. Besonderen Anklang findet die Verwendung von sehr kalter, trockener Luft, worunter man den Begriff „Kryosauna“ einordnen kann, heute in der Sportmedizin.
Auf YouTube, Instagram und Co. konnte man schon vor einigen Jahren amerikanische Spitzensportler sehen, die sich diese Kälteanwendung zunutze gemacht haben. Auch Bodybuilder wie Steve Kuclo oder der viermalige World’s Strongest Man Gewinner Brian Shaw bekennen sich zur extremen Kälte. Die Gründe dafür sind durch verschiedene Studien belegt. Dennoch hinkt die Datenlage hinter dem Potenzial dieser Methode hinterher, wie das bisher aktuellste Review zu dem Thema aus dem Jahre 2017 schreibt [1].
Durch bisherige Forschungsergebnisse können allerdings einige spezifische Nutzen belegt werden. Darunter die Reduktion von Entzündungsprozessen, verursacht durch exzessives Training, sowie eine verbesserte Regeneration nach Verletzungen. Ungeachtet dessen mangelt es an wissenschaftlichen Daten, die die Verwendung der Kryotherapie in Vorbereitung auf sportliche Wettkämpfe oder den Gebrauch in intensiven Trainingsphasen zur Vorbeugung von Überlastung und Übertraining untersucht.
Eine Studie aus dem Jahre 2018 untersuchte jedoch 20 junge Männer und Frauen, die an einem zweiwöchigen, intensiven Volleyball Training teilnahmen. Die Hälfte der Probanden wurde weiterhin insgesamt zehn Sitzungen in der Kryosauna mit drei Minuten bei -110 Grad Celsius unterzogen. Im Ergebnis zeigten die Sportler beider Gruppen einen Abfall der Trainingsleistung aufgrund der hohen Intensität und des großen Umfangs des Trainingsprotokolls. Allerdings sank die Leistung etwas weniger in der Gruppe, die zusätzliche Kälteanwendungen erhielt. Weiterhin stieg ihr Spiegel an Wachstumsfaktoren wie IGF-1 etwas stärker als in der Kontrollgruppe [2].
Doch zurück zu den angeblichen Vorteilen in Bezug auf die Kalorienverbrennung. Das oben genannte Review zitiert eine Studie, in der man 45 Probanden über sechs Monate hinweg an einem Krafttrainings- und Ausdauerprogramm teilnehmen ließ und einem Teil von ihnen gleichzeitig regelmäßigen Kälteanwendungen unterzog. Während die übergewichtigen Teilnehmer deutlich ihre Blutfettwerte mit Hilfe der Kryotherapie verbessern konnten, nahmen sie nicht schneller ab als die Gruppe, die nur an dem Fitnessprogramm teilnahmen. [3]
Diese Daten deuten darauf hin, dass kein signifikanter Unterschied im Kalorienverbrauch besteht, wenn zusätzlich zur Kryotherapie Sport getrieben wird. Allerdings gibt es im Moment noch keine Studien, die diesen Parameter durch eine direkte oder indirekte Kalorimetrie untersuchte. Im Internet findet sich jedoch ein kleines Experiment, welches von einem Anbieter durchgeführt wurde, der selbst von sich behauptet, einen evidenzbasierten Ansatz der Kryotherapie zu verfolgen.
In diesem Experiment wurden drei Testpersonen einer einmaligen Behandlung von drei Minuten unterzogen. Vor der Anwendung wurde der Grundumsatz der Teilnehmer ermittelt und anschließend der Energieverbrauch über 24 Stunden beobachtet.
Im Ergebnis fiel die Steigerung des Stoffwechsels sehr gemischt aus:
- Testperson 1 (männlich, 42 Jahre): +576 kcal innerhalb von 24 Stunden
- Testperson 2 (weiblich, 20 Jahre): +187 kcal innerhalb von 24 Stunden
- Testperson 3 (weiblich 22 Jahre): +30 kcal innerhalb von 24 Stunden
Während auch dieses Unternehmen nicht vollständig erklären kann, weshalb diese großen Unterschiede zustande kommen, liefern sie einige mögliche Anhaltspunkte. Darunter die verwendete Temperatur, das Körpergewicht und Geschlecht der Personen sowie die Gewöhnung an die Methode. Doch da nicht genau beschrieben ist, wie die Messung des Kalorienverbrauches über die folgenden 24 Stunden ablief, könnte man vermuten, dass außerdem die Bewegung der Probanden innerhalb dieser Zeit eine Rolle gespielt haben könnte.
Zwar ist ein solches Experiment sicherlich eine spannende Angelegenheit, aufgrund des fehlenden klinischen Aufbaus lässt sich jedoch kein Beweis dafür ableiten, dass Kryotherapie überhaupt den Energieverbrauch steigert. Da aber bekannt ist, dass Kälteexposition die Menge und Aktivität von braunem Fettgewebe steigert, könnte man vermuten, dass der regelmäßige Gebrauch dennoch die Stoffwechselaktivität beeinflusst.
Im Gegensatz zum weißen Fettgewebe, das hauptsächlich der Energiespeicherung in Form von Fettsäuren dient, enthält das braune Fettgewebe viel mehr Mitochondrien und verbrennt sogar selbst Fett. Kälte steigert durch den Botenstoff Irisin die Menge des braunen Fettgewebes in unserem Körper. Die Aufgabe dieser speziellen Zellen ist es dann, vermehrt Körperwärme zu produzieren, um unsere Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. In früheren Zeiten war dies ein wichtiger Schutzmechanismus, um uns im Winter warm zu halten. Aufgrund der Tatsache, dass wir heute in den dunklen Monaten Heizungen zur Verfügung haben, besitzen die meisten Menschen jedoch nur wenig braunes Fettgewebe.
Das oben zitierte Review zeigt zwar, dass Kryotherapie die Aktivität von sowohl braunem als auch weißem Fettgewebe steigert, doch wies die Untersuchung an Volleyballern keine Steigerung des Irisin-Spiegels nach. Es ist also nicht ganz klar, ob die kurzzeitige trockene Kälte langfristig zu einer Erhöhung des metabolisch aktiven, braunen Fettgewebes führt.
Schlussfolgerung
Was können wir auf Grundlage der verfügbaren Daten über die immer populärer werdende Kryotherapie sagen? Nun, während ihre Effektivität in Bezug auf die Verbesserung der Regeneration von intensivem Training und nach Verletzungen sehr gut belegt ist, gibt es keine Beweise dafür, dass die kurzzeitige Anwendung der trockenen Kälte zu einer signifikanten Steigerung des Kalorienverbrauchs führt. Sicherlich verbrauchen wir im Moment der Anwendung mehr Kalorien, um unsere Kerntemperatur aufrechtzuerhalten, doch erscheint es utopisch zu behaupten, dass diese einen Wert von 700 Kilokalorien innerhalb von nur drei Minuten erreicht.
Zukünftige Studien mit klinischem Setting müssen mithilfe von direkter Kalorimetrie noch herausfinden, mit welchem Energieverbrauch man langfristig bei solch einer Anwendung rechnen kann. Bis dahin bleibt die Kryotherapie bestenfalls ein möglicher Ansatz von vielen, die Regeneration nach dem Training zu verbessern, auch wenn Studien gezeigt haben, dass kalte Wasserbäder ein wenig die Nase vorn haben. Doch das ist ein Thema für einen anderen Artikel.
Textquellen:
theathleticroom.com/the-answer-to-burning-extra-calories-lies-inside-a-freezing-cryotherapy-chamber/
Literaturquellen:
- Lombardi, Giovanni, Ewa Ziemann, and Giuseppe Banfi. „Whole-body cryotherapy in athletes: from therapy to stimulation. An updated review of the literature.“ Frontiers in physiology 8 (2017): 258.
- Jaworska, Joanna, et al. „A TWO-WEEK SPECIFIC VOLLEYBALL TRAINING SUPPORTED BY THE WHOLE BODY CRYOSTIMULATION PROTOCOL INDUCED AN INCREASE OF GROWTH FACTORS AND COUNTERACTED DETERIORATION OF PHYSICAL PERFORMANCE.“ Frontiers in Physiology 9 (2018): 1711.
- Lubkowska, Anna, et al. „Body composition, lipid profile, adipokine concentration, and antioxidant capacity changes during interventions to treat overweight with exercise programme and whole-body cryostimulation.“ Oxidative medicine and cellular longevity 2015 (2015).