Es dauert nur wenige Wochen, bis man als Trainingsanfänger merkt, dass die Muskelzuwächse nicht so schnell kommen, wie man sich zu Beginn seiner Karriere noch erträumt hatte. Schnell wird auch deutlich, dass nicht jeder, der mit prallen Muskelbergen durch das Studio stolziert, auch frei von Hilfsmitteln ist und seine Optik eher dem massiven Medikamentenmissbrauch als der disziplinierten Ernährung und den knallharten Workouts geschuldet ist. Schnell lernt man die Welt mit anderen Augen zu sehen und verinnerlicht, dass nicht jeder Bodybuilder, der den Zusatz „Natural Athlet“ in seinem Instagram- oder YouTube-Account verwendet, auch wirklich nur durch Mutter Natur gewachsen ist.
So kann es durchaus sein, dass der Athlet zwar an seinem Wettkampftag durch die Unterdrückung verschiedenster Hormone naturale Hormonspiegel aufweisen kann, längst aber nicht mit diesen Werten das optische Ergebnis erreicht hat, das auf der Bühne präsentiert wird.
Wie so oft im Leben, gibt es auch bei der Verwendung von Steroiden geteilte Meinungen. Während die eine Seite – meist Hobbysportler, die versprechen, nur eine einzige Kur zu fahren – behauptet, dass nach dem Absetzen sämtlicher Steroide die gewonnene Muskelmasse gehalten werden kann, stehen auf der anderen Seite die Kritiker, die der festen Überzeugung sind, dass sämtliche Masse, die unter der Verwendung von Steroiden aufgebaut wurde, nach einem Cycle verschwindet.
Die Pro-Fraktion beruft sich immer wieder auf den Memory-Effekt im Muskel und könnte mit ihrer Aussage nicht ganz falsch liegen.
Der Memory-Effekt
Um auf der Broscience-Schiene zu bleiben, beschreibt der Memory-Effekt die Fähigkeit des Muskels, schneller wieder zu wachsen, nachdem eine Trainingspause eingelegt wurde oder verletzungsbedingt pausiert werden musste.
In einfachen Worten ausgedrückt bedeutet das, dass wenn ein Athlet über Jahre hinweg sechs Kilogramm reine Muskelmasse aufbauen konnte, dann über einen längeren Zeitraum pausieren musste, schneller wieder seine bereits dagewesene Muskelmasse erhalten wird, wenn er erneut mit dem Training startet.
Wie bei vielen Gerüchten, steckt auch hinter diesem eine Wahrheit. Erfahrene Bros aus dem Studio erkennen gewisse Gegebenheiten schneller als der durchschnittliche Wissenschaftler im Labor. Die Studioerkenntnis wird oft nur durch die Prozesse, die im Hintergrund ablaufen, von der Wissenschaft bestätigt.
So kann eine aktuelle Studie bestätigen, dass es den Memory-Effekt auf DNA-Ebene zu geben scheint. Die Konsequenzen sind aber weiterhin ungeklärt.
Die Studie
Wissenschaftler der Keele Universität untersuchten 850.000 Seiten, die sich mit der DNA beschäftigten. Sie konnten herausfinden, dass unsere Gene mit Hilfe von chemischen Kennzeichen markiert oder unmarkiert werden, wenn unsere Muskeln nach erfolgtem Training wachsen. Diesen Prozess bezeichnet man als epigenetische Modifizierung.
Die chemischen Kennzeichen führen dazu, dass das Gen an- und ausgeschaltet werden kann, ohne dabei die DNA selbst zu verändern. Ein Forscher der Untersuchung fasst die Erkenntnisse wie folgt zusammen:
Es konnte gezeigt werden, dass die epigenetischen Informationen der Gene im Muskel unmarkiert werden, wenn ein Training im frühen Lebensalter erfolgt. Wichtig zu bemerken ist, dass die Gene unmarkiert bleiben, selbst wenn die aufgebaute Muskelmasse verloren geht.
So fällt es leichter, das Gen situationsbedingt – also wenn das Training wieder aufgenommen wird – erneut anzuschalten. Einfach ausgedrückt heißt das, dass es dem Muskel zu einem späteren Zeitpunkt leichter fallen wird, auf erneute Belastungen zu reagieren, sodass er schneller wächst.
Die Kontroverse
Der Memory-Effekt existiert also wirklich und die Broscience konnte durch wissenschaftliche Ausarbeitungen bestätigt werden. Zuerst einmal ist es beruhigend zu wissen, dass man schneller wieder zu alten Höhen findet, wenn man zwangsbedingt pausieren musste. Was aber viele Athleten noch viel mehr erfreuen wird, ist die Verbindung zur Verwendung anaboler Steroide. Ein weiterer Forscher der Keene Universität schlussfolgerte:
Wenn ein Eliteathlet leistungssteigernde Substanzen verwendet, um seine Muskeln in großem Ausmaß zum Wachstum zu drängen, kann der Muskel den Zustand der vorherigen Größe speichern.
Wird der Athlet nun durch einen Test überführt und von zukünftigen Wettkämpfen ausgeschlossen, sind kurzzeitige Sperren kein adäquates Mittel, weil durch die frühere Verwendung leistungssteigernder Substanzen weiterhin ein Vorteil gegenüber den Mitstreitern besteht und mehr Potenzial für das Muskelwachstum vorhanden ist, auch ohne aktuellen Missbrauch.
Nicht ganz so natural
Aus diesem Grund sind „naturale“ Wettkämpfe selten so natural, wie sie eigentlich sein wollen. In den meisten Fällen bedeutet der Zusatz „natural“ einfach nur, dass getestete Athleten über einen gewissen Zeitraum vor dem Test keine Medikamente und Substanzen verwendet haben oder die konsumierten Substanzen geschickt maskieren.
Dieser Status ist aber weit von dem Status entfernt, noch nie in der gesamten Trainingskarriere mit anabolen Steroiden in Berührung gekommen zu sein. So wird ein ehemaliger Verwender von Steroiden immer einen Vorteil gegenüber seinen Lifetime-Natural-Mitstreitern haben.
Kurz zusammengefasst kann ein Athlet, der einmal Steroide verwendet hat, mehr Muskelmasse aufbauen und das selbst wenn der Missbrauch schon Jahre zurückliegt. Natürlich wird ein Teil der Masse, die unter dem Einfluss anaboler Substanzen aufgebaut wird, früher oder später verschwinden, jedoch nicht der gesamte Anteil.
Mit dieser neuen Erkenntnis wird deutlich, dass auch die einmalige Nutzung von Steroiden einen dauerhaften Vorteil beim Muskelaufbau bewirkt.
Gerade im Bereich Broscience haben viele Mythen teilweise Hand und Fuß. So konnten Wissenschaftler nun beweisen, dass es den Memory-Effekt, den Bodybuilder der alten Schule seit Jahrzehnten predigen, wirklich gibt. Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass auch die Verwendung anaboler Steroide einen Memory-Effekt auslöst, der sogar einmalige Steroidverwender in eine vorteilhafte Position katapultiert.
Quelle: t-nation.com/pharma/tip-steroids-muscle-memory-and-fairness