Vorab: Wir sind keine Befürworter des Steroidkonsums. Der durchschnittliche Studiogänger sollte in der Lage sein, mit Hilfe von intelligentem Training auch ohne Steroide gute Resultate zu erbringen. Die gesundheitlichen und auch rechtlichen Risiken werden dem Nutzen in den meisten Fällen nicht gerecht. Zumindest solange du kein Schauspieler oder Profisportler bist, bei denen große Geldbeträge auf dem Spiel stehen.
Rückschrittlich, doppelmoralisch, misswirtschaftlich. All diese Beschreibungen sagt man der Deutschen Demokratischen Republik heute nach. Aber ein Punkt, in dem die DDR allen anderen Ländern ihrer Zeit etwas voraus hatte, war das großangelegte Staatsdoping. Wenngleich die Republik im Osten Deutschlands keine besonders große Wirtschaftsmacht darstellte, wollte man immerhin sportlich gesehen die Spitze der Welt erklimmen und hat dies in manchen Disziplinen wie dem Schwimmen oder in der Leichtathletik auch geschafft. Eigens zu diesem Zwecke entwickelt, kam das Steroid Turinabol meist in Unwissenheit der Athleten und der gesamten Bevölkerung flächendeckend zum Einsatz. Doch auch nach Ende des sozialistischen Staatsregimes wird die leistungssteigernde Substanz weiterhin verwendet.
Gibt man den Begriff „Turinabol“ in die Suchmaschine ein, erscheinen zahlreiche Berichte, Dokumentationen und Texte über das Staatsdoping in der DDR. Sie zeugen von Vertuschungen, sportlichen Erfolgen und den gesundheitlichen Nebenwirkungen, unter denen die ehemaligen Athleten noch heute zu leiden haben. Dies soll allerdings nicht Gegenstand unseres heutigen Artikels sein. Auch wenn heutzutage kein anerkanntes Pharmaunternehmen mehr das Steroid herstellt, kommt es vereinzelt noch im Bodybuilding und in anderen Kraftsportarten zum Einsatz. Aus diesem Grund sollen hier die Wirkungen und Nebenwirkungen von Turinabol thematisiert werden.
Dr. Thomas O’Connor, besser bekannt als „Anabolic Doc“, ist ein amerikanischer Arzt, der als einer der führenden Experten im Bereich anaboler Steroide betitelt wird. Seit über 20 Jahren arbeitet er in diesem Feld und soll der einzige zertifizierte Internist der USA sein, der seine Arbeit auf Männer und Frauen fokussiert, die anabole Steroide nutzen oder genutzt haben. Auf seinem YouTube Kanal behandelt er regelmäßig die Wirkungen und potenziellen Nebenwirkungen beliebter leistungssteigernder Mittel, darunter auch Dehydrochlormethyltestosteron, wie Turinabol mit wissenschaftlichem Namen genannt wird.
Auch bekannt unter der Abkürzung T-Bol oder Baby-D-Bol, kommt das von der VEB Jenapharm entwickelte Steroidhormon laut O’Connor heute als vergleichsweise mildes, orales Steroid unter Bodybuildern zum Einsatz. Patentiert im Jahre 1961 schauten die Forscher Ende der 1950er Jahre auf die Struktur des bereits bestehenden Moleküls Dianabol und erkannten, dass es zwar ein starkes Steroid sei, jedoch zu große Wassereinlagerung mit sich bringe, was einen klaren Nachteil für Leistungsathleten dargestellt habe. Obwohl die Substanz offiziell für den medizinischen Gebrauch hergestellt wurde, behauptet der amerikanische Internist, dass Turinabol den Dopingzwecken ausschließlich aufgrund der Machtgewinnung herangezogen wurde. Über 10000 männlichen und weiblichen Athleten, teilweise schon in sehr jungem Alter, soll das Steroid verabreicht worden sein.
Strukturell gesehen sei Dehydrochlormethyltestosteron ein Abkömmling des Testosterons und stelle eine Kombination aus Dianabol und dem vergleichsweise schwachen anabolen Steroid Clostebol dar. Die Halbwertzeit von Turinabol betrage laut dem Anabolic Doc etwa 16 Stunden, was eine tägliche Einnahme nötig mache. Auch wenn der Stoff nur etwa halb so anabol wirke wie Testosteron, liege der Vorteil besonders in seiner geringen androgenen Wirkung und der Eigenschaft, dass es nicht in Östrogen umgewandelt werden könne. Doch in der Realität werde Turinabol selten allein, sondern in Kombination mit anderen Steroiden verwendet.
Man könnte sich nun die Frage stellen, weshalb gerade Bodybuilder diese Substanz verwenden, wenn sie doch weniger anabol wirkt als Testosteron selbst. Laut O’Connor senkt die DDR-Staatsdroge den Gehalt des Sexualhormon-bindendes Globulins (SHGB) und führt somit zu einem höheren Spiegel an freiem Testosteron, solange beide Produkte in Kombination verwendet werden. Dennoch sieht der Arzt keinen Sinn in dieser Vorgehensweise. Auch allein verwendet würde Turinabol den körpereigenen Spiegel des freien Testosterons erhöhen und so über die natürliche Hormonachse zu einer verminderten Ausschüttung des männlichen Sexualhormons insgesamt führen.
Schaue man sich die weiblichen Athleten dieser Zeit an, denen vermutlich Oral-Turinabol verabreicht wurde, stelle man einige sekundäre, männliche Geschlechtsmerkmale fest. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Veränderungen bei alleiniger Verwendung jenes Steroids sehr langsam vonstattengehen würden, berichtet der Anabolic Doc von Erzählungen, laut derer viele der Damen auch weitere Stoffe verwendet haben sollen. Aus seinem Mund klingt es, als ob die Sportlerinnen gewusst hätten, welche Pillen sie geschluckt haben. Doch die zahlreichen Dokumentationen und Zeitzeugenberichte, die man hierzulande lesen und anschauen kann, sprechen davon, dass die meisten Athleten die kleinen Tabletten von ihren Ärzten und Trainern bekommen haben, ohne zu wissen, was sie dort einnehmen.
Als 17-Alpha-Alkalyiertes Steroid seien die klassischsten aller Nebenwirkungen die toxischen Effekte auf die Lebergesundheit, aber auch die negativen Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, wie beispielsweise erniedrigte HDL-Cholesterin-Werte oder die linksventrikuläre Hypertrophie des Herzmuskels, seien mit Turinabol nicht zu umgehen.
Unter dem Strich sei Turinabol trotz aller Schreckensberichte von ehemaligen Athleten im Vergleich zu anderen oralen Anabolika an sich ein mildes anaboles Steroid mit einem geringen Profil an Nebenwirkungen. Allerdings wird Dehydrochlormethyltestosteron heute selten allein von Athleten verwendet. Auch in Sportarten aus dem Bereich der Leichtathletik und des Gewichthebens wurden in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Athleten des Dopings mit dieser Substanz überführt, was zeigt, wie potent das von der DDR entwickelte Steroid ist.