Kürzlich berichteten wir über eine amerikanische Studie der University of California, die gezeigt hat, dass das neue Coronavirus länger auf Oberflächen, insbesondere Edelstahl und Kunststoff, nachweisbar ist, als man vermuten würde. Aus diesen Daten schlussfolgerten wir einen weiteren Grund, dass die Schließung der Fitnessstudios und anderer öffentlicher Versammlungsorte eine richtige Entscheidung war, betonten jedoch, dass auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) darauf hinweist, dass experimentellen Untersuchungen nicht das realistische Übertragungsrisiko im Alltag widerspiegeln. Der deutsche Virologe Hendrik Streeck will nun beweisen, dass einige der Maßnahmen zur Corona-Eindämmung nicht nötig gewesen seien.
Zunächst sei jedoch eines klar gesagt. Die Redakteure der Gannikus GmbH sind weder Virologen, Infektiologen oder Ärzte noch haben sie klinische Praxiserfahrung mit dem Coronavirus. Bei SARS-CoV-2 und die dadurch ausgelöste Lungenkrankheit COVID-19 handelt es sich um neuartige Sachverhalte, die aktuell weltweit unter Hochdruck untersucht werden. Bisher gibt es keine einheitlichen und allgemeingültigen Daten, die die getroffenen Aussagen und Studienergebnisse eindeutig belegen oder widerlegen. Wir versuchen lediglich mit wissenschaftlichem Hintergrund über die Entwicklungen zu berichten und die Daten nach bestem Wissen in den Kontext zu setzen!
Erst kürzlich haben wir uns hier auf Gannikus.de mit der Frage beschäftigt, ob man trotz der Gefahr, die durch das Coronavirus ausgeht, weiterhin ins Fitnessstudio gehen können. Unser Fazit lautete damals, dass es in Ordnung sei, solange man gesund ist und gewisse Schutzmaßnahmen einhält. Doch so rasant, wie sich die aktuelle Lage ändert, so rasant […]
Abstand reicht nicht: Darum steckt man sich im Fitnessstudio leicht mit dem Coronavirus an!
Anlass des heutigen Artikels stellt ein Auftritt von Hendrik Streeck, dem Leiter der Virologie an der Uniklinik Bonn, in der TV-Sendung Markus Lanz dar. Den Informationen nach sei das neue Coronavirus in Deutschland erstmals in Nordrhein-Westfalen aufgetreten, wobei der Landkreis Heinsberg als „Epizentrum“ der Epidemie in der Bundesrepublik bezeichnet wird. Aufgrund der Tatsache, dass sein Fachbereich die Diagnostik der Betroffenen aus diesem Gebiet übernommen habe, behauptet Professor Hendrik Streeck, der Wissenschaftler zu sein, der in Deutschland die meisten COVID-19 Patienten gesehen habe.
Ausgegangen sei der starke Ausbruch Medienberichten zufolge in dieser Region von einem Kappentreffen, einer Karnevalsveranstaltung, in der dortigen Kleinstadt Gangelt am 14. und 15. Februar. Dort habe eine oder mehrere infizierte Personen, die davon jedoch noch nichts wussten, wegen der körperlichen Nähe zahlreiche weitere Personen der rund 1000 Teilnehmer angesteckt. Streeck berichtet bei Markus Lanz, dass man das geballte Auftreten von Fällen jedoch nicht nur als Problem, sondern auch als Chance gesehen habe, den Krankheitsverlauf und die Verbreitung zu untersuchen.
Die Untersuchung von Professor Hendrik Streeck und Kollegen
Laut den Virologen habe man zahlreiche Haushalte in Gangelt nach Symptomen, ihrem Lebensstil und Vorerkrankungen befragt sowie Blutproben genommen. Abstriche wurden dabei nicht nur vom Mund- und Nasenraum der Betroffenen gemacht, wie es in der Diagnostik einer Virenerkrankung üblich ist, sondern auch von zahlreichen alltäglichen Oberflächen, der Luft und sogar Haustieren. Eines der vorläufigen Ergebnisse dieser Feldarbeit scheint auf den ersten Blick denen des Laborversuches der amerikanischen Kollegen zu widersprechen. Zwar habe das Team um Hendrik Streeck Coronaviren auf Oberflächen nachweisen können, allerdings seien diese nicht infektiös, sondern tot gewesen. Auf Grundlage dieser Ergebnisse behauptet er, dass Oberflächen nur infektiös seien, wenn eine infizierte Person direkt vor dem Kontakt in die Hand husten würde und man danach ebenfalls diese Oberfläche berührt.
Dies würde bedeuten, dass auch Hanteln und Geräte im Fitnessstudio nur für sehr kurze Zeit eine Ansteckungsgefahr darstellen würden und auch nur in dem Fall, dass eine infizierte Person sie direkt vorher kontaminiert hat. Eine genaue Zeit, wie lange der Erreger aktiv bleibt, habe man laut Hendrik Streeck nicht erheben können, allerdings sei man in einem Haushalt gewesen, in dem viele hochinfektiöse Personen gelebt haben und habe dennoch keine lebenden Viren erhalten. Zum Vergleich: Die Untersuchung, die am 17. März im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, fand unter experimentellen Bedingungen noch bis zu drei Tage nach einer künstlichen Infektion auf Edelstahl und Plastik SARS-CoV-2 Viren, die in Zellkultur infektiös waren.
An welcher Stelle unterscheiden sich die Untersuchungen?
In der experimentellen Untersuchung an der University of California infizierten die Forscher Oberflächen künstlich mit dem Coronavirus, nahmen davon in verschiedenen zeitlichen Abständen Abstriche, verbrachten diese in die Luft und versuchten, eine Zellkultur damit zu infizieren. Dies stellt unseres Wissens nach eine gängige Methode in der Virologie dar, lebende Erreger nachzuweisen. Aufgrund der praxisnahen Gegebenheiten in der Untersuchung unter der Leitung von Professor Streeck nahm man Abstriche von natürlich infizierten Oberflächen, transportierte diese in das rund 120 Kilometer entfernte Universitätsklinikum und versuchte sie dann unter anderem anzuzüchten.
Wie eingangs erwähnt, sind wir selbst keine Virologen, doch erscheinen uns folgende beiden Unterschiede wahrscheinlich:
- Die Zahl der frischen Viren auf den genannten Oberflächen im Haushalt war pro Quadratzentimeter womöglich deutlich geringer als auf den künstlich infizierten Oberflächen im Labor.
- Die Zeit zwischen der Entnahme des Abstriches und der Anzucht in der Zellkultur war in der Untersuchung um Hendrik Streeck deutlich länger.
Ebenfalls denkbar ist auch, dass sich der Virus an sich in beiden Arbeiten unterschied. Wir wissen, dass sich diese Mikroorganismen aufgrund von Mutationen schnell wandeln können. Ohne spezifische Fachkenntnisse lässt sich darüber spekulieren, dass die Erreger in den untersuchten deutschen Haushalten deutlich schneller gestorben sind als unter den standardisierten Laborbedingungen in der klinischen Untersuchung in den USA.
Welche Aussage ist richtig?
Ob lebende Coronaviren auch in der Praxis auf Oberflächen über Stunden oder sogar Tage nachweisbar sind, dafür gibt es bisher keine Beweise. Es scheint jedoch der Konsens zu bestehen, dass ein einzelner SARS-CoV-2 Virus nicht dafür ausreicht, eine COVID-19 Erkrankung auszulösen. Um eine Infektion hervorzurufen, bedarf es eine gewisse Mindestanzahl von lebenden Erregern, die sich dann im menschlichen Körper vermehren. Das Robert-Koch-Institut verweist in Bezug auf die Frage, ob Coronaviren über den Kontakt mit Oberflächen wie Türklinken, Smartphones, Bargeld oder Griffe von Einkaufswagen übertragen werden können, auf das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), welches zum aktuellen Zeitpunkt (2. April 2020) schreibt:
„Dem BfR sind bisher keine Infektionen mit SARS-CoV-2 über diesen Übertragungsweg bekannt. Grundsätzlich können Coronaviren durch direktes Niesen oder Husten einer infizierten Person auf Oberflächen gelangen und eine Zeit lang überleben. Eine Schmierinfektion einer weiteren Person erscheint dann möglich, wenn das Virus kurz danach über die Hände auf die Schleimhäute des Mund- und Rachenraumes oder die Augen übertragen wird. Um sich vor Virusübertragungen über kontaminierte Oberflächen zu schützen, ist es wichtig, die allgemeinen Regeln der Hygiene des Alltags wie regelmäßiges Händewaschen und Fernhalten der Hände aus dem Gesicht zu beachten.“ [2]
Diese Aussagen sollten sich demnach auch auf Oberflächen in Fitnessstudios wie Hanteln und Gewichtsscheiben übertragen lassen. Auf die Frage, ob Coronaviren außerhalb menschlicher oder tierischer Organismen auf trockenen und festen Oberflächen überleben und infektiös bleiben, verweist man auf die genannte Untersuchung der amerikanischen Forscher. Der Fragen- und Antwortenkatalog des BfR wurde zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikel zuletzt am 30.03.2020 aktualisiert und umfasst nicht die vorläufigen Ergebnisse des Bonner Virologen.
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Systematische Studie soll Klarheit schaffen
Bei den bisher getroffenen Behauptungen des Fachmanns handelt es sich um vorläufige und experimentelle Ergebnisse. Der Aussage des 42-Jährigen zufolge sei es die Pflicht des Robert-Koch-Institutes, eine klinische Studie durchzuführen, um genauer sagen zu können, wie genau sich das Coronavirus verbreitet, wie groß die Dunkelziffer ist und welche Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Da diese jedoch nicht in Aussicht war, nimmt er die Sache jetzt selbst in die Hand. Laut der einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Bonn soll der renommierte Virologe und Direktor des Instituts für Virologie ab Montag, 30. März 2020 mit einem Team von 20 Mitarbeitern, inklusive studentischen Hilfskräften, die Infektionsverläufe im Kreis Heinsberg systematisch erforschen [3].
Das Ziel sei es, mögliche Kausalketten mit Vorerkrankungen zu erfassen und hieraus Präventionsempfehlungen für die gesamtdeutsche und europäische Bevölkerung zu generieren. Die sogenannte „Covid-19 Case-Cluster-Study“ ist zunächst für vier Wochen angelegt. Erst durch die Kombination der virologischen Diagnostik, des Lebensumfeldes sowie einer Fragebogenstudie soll bewertet werden, inwieweit die durchgeführten Tests richtig waren und wie sich das Virus über Luft, Oberflächen, Bedarfsgegenstände, Lebensmittel und Wasser gegebenenfalls übertragen kann.
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Demzufolge gibt es bisher keine eindeutige Entwarnung darüber, ob man sich durch den Kontakt mit Oberflächen anstecken kann oder nicht. Auch wenn Hendrik Streeck bei Markus Lanz eine geringe Wahrscheinlichkeit angibt, scheinen diese Aussagen nur vorläufig zu sein. Der Virologe lässt allerdings ebenfalls verlauten, dass das Halten von Abstand sowie eine angemessene Handhygiene die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 sind. Zu diesem Ergebnis kommen auch aktuelle Studien, die im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen sind [4, 5]. Demnach ist jedoch auch eine akribische Nachverfolgung von Kontaktpersonen und deren strenge Quarantäne unausweichlich. Bisher hat die Bundesregierung im Gegensatz zu Ländern wie Singapur und Südkorea auf derartige Mittel verzichtet.
Selbst wenn sich Oberflächen in der Praxis als weit weniger infektiös herausstellen sollten, als die Studie der University of California vermuten lässt, kann man im Gedränge der meisten Fitnessstudios, besonders zu Stoßzeiten, wohl kaum sicherstellen, stets einen Abstand von 1,5 bis zwei Metern einzuhalten. Man denke da allein an die Umkleide-Kabinen. Somit erscheinen die getroffenen Maßnahmen hier weiterhin für sinnvoll. Es wird allerdings spannend, zu welchen Ergebnissen die „Covid-19 Case-Cluster-Study“ um die Bonner Forscher kommt und ob diese zu einer Lockerung der Maßnahmen führt.
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Literaturquellen:
- van Doremalen, Neeltje, et al. „Aerosol and Surface Stability of SARS-CoV-2 as Compared with SARS-CoV-1.“ New England Journal of Medicine (2020).
- Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): „Kann das neuartige Coronavirus über Lebensmittel und Gegenstände übertragen werden?“, gesehen am 02.04.2020, aktualisiert am 30.03.2020
- ukbnewsroom: „NRW startet gemeinsames Corona-Forschungsprojekt mit dem Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn“, Universitäsklinikum Bonn, 27.03.2020
- Koo, Joel R., et al. „Interventions to mitigate early spread of SARS-CoV-2 in Singapore: a modelling study.“ The Lancet Infectious Diseases (2020).
- Lewnard, Joseph A., and Nathan C. Lo. „Scientific and ethical basis for social-distancing interventions against COVID-19.“ The Lancet Infectious Diseases (2020).