Bodybuilding ist in Deutschland mittlerweile zu groß, um von der Medienlandschaft ignoriert zu werden. Sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk traut sich immer öfter an ein Thema, das jahrzehntelang in der Schmuddelecke abgestellt war. Dabei gewinnt die Berichterstattung erfreulicherweise an Objektivität, wie auch an einer aktuellen Dokumentation der ARD-Sportschau erkennbar ist. Ganz ohne die bei Journalisten so beliebten „Schattenseiten des Sports“ kommt aber natürlich auch dieses Werk nicht aus.
Bodybuilding erobert die Kinderzimmer
„Bodybuilder sind die streitbare Speerspitze der Fitness-Szene“, so lautet der Subtext der ARD-Sportschau-Dokumentation Bodybuilding-Boom: Junge Menschen und die Jagd nach dem perfekten Körper. Streitbar, wohl auch etwas suspekt erscheint den Medienschaffenden der Sport also immer noch. Dennoch gestehen sie ihm seine Vormachtstellung in der deutschen Fitnesslandschaft ein. Satte 5 Milliarden Euro soll der Markt durch Supplemente, Merchandise und Coaching pro Jahr umsetzen.
Der Schwerpunkt der Dokumentation liegt primär auf der zunehmenden Popularität des Bodybuildings bei Heranwachsenden. In immer jüngerem Alter finden deutsche Jugendliche den Weg ins Fitnessstudio, schon 12-Jährige jagen nach dem perfekten Körper, und Auslöser sind, selbstverständlich, die sozialen Medien.
Hauptprotagonist ist der 17-jährige Noel Hami, den die Journalisten auf dem für eine solche Doku obligatorischen Dreh auf der Fibo kennengelernt haben. Der Schüler betreibt seit einigen Monaten mit vollem Engagement Bodybuilding. Er hat hierfür das Fußballspielen an den Nagel gehängt und tut nun alles, um seinem Ideal vom „Griechischen Gott-Körper“ näherzukommen. Mit Noel haben die Macher einen so sympathischen wie reflektierten Vertreter des Nachwuchs-Bodybuildings gefunden, der sich aller positiven und negativen Seiten des Sports bewusst zu sein scheint.
Markus Rühl schafft keinen Klimmzug
Markus Rühl ist eine „Fot…“! Zumindest, wenn es nach dem ehemaligen Schwergewichtsprofi selbst geht. Wenige Augenblicke bevor er diese Feststellung über sich selbst traf, versuchte sich der immer noch massive Ex-Profi an einem Klimmzug und scheiterte dabei kläglich. Der kurze Clip fand nicht nur eine enorme Verbreitung im Internet, sondern ist auch bezeichnend für Markus […]
Neben Noel kommen auch die Stars der deutschen Bodybuilding-Szene zu Wort: der Natural-Athlet Kai Gedan mit seiner Freundin Leonie, Urs Kalecinski und der Klick-Garant Markus Rühl – ein überaus illustres Line-up.
Bodybuilding-Boom durch Corona?
Wie kommt es, dass heutzutage vor allem so viele extrem junge, teils noch kindliche Menschen den Zugang zum Bodybuilding finden? Ein Kommunikationswissenschaftler liefert die passende Erklärung:
Während der Corona-Pandemie hätten die Jugendlichen noch mehr Zeit in den sozialen Medien verbracht und sein hier vermehrt auf Bodybuilding-Content gestoßen. Der Lockdown, von dem einst befürchtet wurde, er würde zum Sargnagel des Sports werden, hat ihm also im Nachgang erst richtig Auftrieb verliehen.
Teenies mit Body Dysmorphia
Nun könnte man sich freuen, dass sich immer mehr junge Menschen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung suchen – oder aber sich daran stören, dass Teenies in ihrer Findungsphase dem ständigen Vergleich, online wie offline, ausgesetzt sind.
Die Dokumentation spricht in diesem Zusammenhang auch die Körperschemastörung, besser bekannt als Body Dysmorphia, bzw. die im Bodybuilding verbreitete Muskeldysmorphie an, bei der sich der Betroffene trotz ausgeprägter Muskulatur immer noch zu dünn fühlt. Auch Noel berichtet von diesem unguten Gefühl. Der kraftsporterfahrene Zuschauer weiß an dieser Stelle: Der Grat zwischen der notwendigen Portion Unzufriedenheit mit dem Status quo und einer ernsthaften Störung ist schmal.
Bodybuilding eine „psychische Störung“?
Bodybuilder werden oftmals im Vergleich zu anderen Personen, die ebenfalls Kraftsport betreiben, als unterschiedlicher Typ von Sportler bezeichnet. Sie sind sich gemeinhin unsicherer was ihr körperliches Erscheinungsbild angeht, nehmen häufiger sowohl legale als auch illegale Substanzen zu sich, sind süchtiger nach Training und verfolgen zudem öfter Diäten. Jene Feststellungen machten zumindest australische Sportwissenschaftler der University of Sydney […]
Eine gute Nachricht gibt es aber: Wie eine nicht repräsentative Befragung der Dokumentarfilmer ergeben hat, präferieren Frauen ohnehin einen gemütlichen Körperfettanteil von rund 15 % beim Mann. Das schwer zu realisierende Ideal von 6 bis 7 % wird tendenziell nur von Männern bevorzugt.
Keine Doku ohne das Thema mit S
Bei Minute 18 von 22:43 hatte man schon fast gehofft, hier wäre tatsächlich mal eine Bodybuilding-Dokumentation ohne die Thematisierung von Steroiden produziert worden. Doch dann schafft es die Doping-Problematik doch noch in die letzten Sequenzen. „Ich bin froh, dass ich das heil und mit einem blauen Auge überlebt habe“, so Markus Rühls denkwürdige Äußerung über seine Historie mit unterstützenden Substanzen. Und so viel Dramaturgie sei einem öffentlich-rechtlichen Sender, der sich von einer gewissen Verantwortung gegenüber dem jungen Publikum nicht freisprechen kann, auch zugestanden.
ARD-Sportschau berichtet über DNP-Experiment von Max Madsen
Die ARD-Sportschau versorgt die Menschen in Deutschland seit den 1960ern mit Informationen aus der Welt des Sports. Während Fußball immer noch die größte Bedeutung für das Format hat, widmet man sich auf der Online-Plattform auch anderen Schwerpunkten. In der Kategorie „Hintergrund“ werden aktuelle Entwicklungen beleuchtet, aber auch zeitlose Themen detaillierter betrachtet. In einer aktuellen Doku […]
Immerhin sind hier Fortschritte gegenüber früheren, sehr eingefärbten und teils unseriösen Berichten zu erkennen. Beispielhaft sei hier die ARD-Doku genannt, in der ein jahrealter Clip des Bodybuilding-Coachs Max Madsen so unglücklich in den Schnitt gesetzt wurde, dass er als gewissenloser DNP-Nutzer dastand.
Die aktuelle Dokumentation setzt gute Tendenzen fort, zu denen auch der ansprechende Mehrteiler „Pumping Beauty“ über Lena Ramsteiner und Bahar Ayra zu zählen ist. Es bleibt zu wünschen, dass das Spotlight auf dem Bodybuilding bleibt und den Sport so weiterhin in ein positiveres Licht rückt.
Titelbild: YouTube