Neben uns Kraftsportlern sind es vor allem Personen im mittleren Alter, die zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen. Besonders in den Vereinigten Staaten ist der Gebrauch von Supplementen zur Unterstützung der Gesundheit weit verbreitet. 2012 nahmen bereits 52 % aller US-Amerikaner Nahrungsergänzungen zu sich – Tendenz steigend. Doch nicht immer enthalten die Produkte das, was auf dem Label steht, und auch wenn viele Produkte getestet sind, gilt weiterhin die Devise, die Dosis macht das Gift. Nicht immer aber liegt es in der eigenen Verantwortung, wie der Körper auf frei verkäufliche Extrakte reagiert.
Es sollte einer der glücklichsten Tage seines Lebens werden. Aber Jim McCants schaut auf den Tag, an dem sein jüngster Sohn seinen High School Abschluss bekam, mit gemischten Gefühlen zurück. Als er sich neben seine Frau Cathleen in der Aula hinsetzte, drehte sie sich zu ihm rüber und sah ihn an. „Ist alles okay?“, fragte sie. Er antwortete „Ja, alles gut, warum?“ „Dein Gesicht ist gelb, deine Augen sind gelb, du siehst schrecklich aus“. Als er in den Spiegel sah, bekam er einen Schock. Jim, der zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt war, arbeitete gerade daran, seinen Lifestyle zu verbessern und Gewicht zu verlieren, er aß gesünder und machte regelmäßig Sport.
„Mein Vater hatte einen Herzinfarkt mit 59 und starb daran“, sagt Jim. „Er verpasste dadurch vieles und ich war entschlossen, alles zu machen, dass mir das nicht auch passiert.“ Doch kurz nach der Abschlussfeier wurde Jim mit dem Verdacht auf einen Leberschaden in das Krankenhaus eingeliefert.
Als die Ärzte versuchten, die Ursache für seine Leberprobleme herauszufinden, konnten sie Alkohol direkt ausschließen. „In den letzten 30 Jahren habe ich vielleicht ein Six-Pack Bier pro Jahr und keinen Wein getrunken. Alkohol war nie ein großer Teil meines Lebens“, sagt Jim. Auch konnten Medikamente ausgeschlossen werden, da er zu jene Zeit keine genommen hat und auch geraucht hat der Texaner nie. Dann bohrte der Hepatologist richtig nach: „Was ist mit frei verkäuflichen Nahrungsergänzungen?“, fragte er.
Im Zuge seines Gesundheitswahns fing Jim an, Grüntee-Kapseln zu verwenden, da er gehört habe, dass sie Vorteile für das Herz haben könnten. Diese Supplements haben in den letzten Jahren stark an Popularität zugenommen und wurden online besonders für ihre antioxidativen Effekte und ihre angebliche Fähigkeit, beim Gewichtsverlust zu helfen und Krebs vorzubeugen, beworben.
„Ich fühlte mich gut. Ich lief 30 bis 60 Minuten, fünf bis sechs Mal die Woche“. Er arbeitete als Finanzmanager, aber hoffte, dass er sich zum Arzthelfer umschulen lassen kann. „Ich nahm zwei oder drei Kurse gleichzeitig nach der Arbeit und an den Wochenenden“, erinnert er sich. Jim nahm das Grüntee-Supplement seit zwei bis drei Monaten, als er krank wurde. Laut seiner Krankenakte war dies der mutmaßliche Grund für seine Lebererkrankung. „Ich war schockiert, denn man hört immer nur von den Vorteilen“, erinnert sich der US-Amerikaner. „Ich habe noch nie von irgendwelchen Nebenwirkungen gehört“.
Nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus wartete Jim auf die Ergebnisse, die letztendlich eine schwerwiegende Leberschädigung diagnostizierten. Etwa drei Wochen, nachdem seine Frau bemerkte, dass er krank aussah, überbrachte ihm eine seiner Ärztin die Nachricht, vor der er sich gefürchtet hat: „Sie sagte, ich bräuchte ein Lebertransplantat und das schnell. Ich hätte nur wenige Tage Zeit“. Jim war fassungslos. „Ich dachte, es sieht sehr düster für mich aus. Dadurch kristallisierte sich heraus, was wirklich wichtig ist im Leben. Ich dachte nicht mehr an Projekte auf Arbeit. Ich dachte an verschiedene Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen wichtig für mich waren“.
Neue Erkenntnisse der EFSA – Grüntee schädlicher als gedacht?
Woran liegt es, dass Grüntee-Supplemente in bestimmten Dosen möglicherweise bei manchen Menschen Schaden anrichten können? Wissenschaftler können diese Frage bisher nicht unter Garantie beantworten. Da Grüntee seit Tausenden von Jahren getrunken wird, werden Nahrungsergänzungen, die ihn in konzentrierter Form enthalten, in den USA und Europa als Nahrungsergänzungsmittel und nicht als Arzneimittel verkauft. Das bedeutet, dass keine speziellen Tests auf Sicherheit erforderlich sind. Daher ist das wissenschaftliche Bild von der Wirkungsweise von Grüntee auf die Gesundheit unvollständig.
„Wenn Sie moderate Mengen Grüntee trinken, ist das sicher“, sagt Prof. Herbert Bonkovsky, Leiter der Hepatologie an der Wake Forest University School of Medicine in North Carolina, der seit mehr als 20 Jahren Schäden, die auf Grüntee zurückzuführen sind, aufzeichnet. „Das größere Risiko besteht bei konzentrierteren Extrakten“. Die Sorgen fokussieren sich besonders auf einen potenziell toxischen Inhaltsstoff namens Epigallocatechin-3-Gallat oder EGCG, das am meisten vorkommende, natürliche Antioxidans in grünem Tee. Wahrscheinlich gibt es eine Zahl von Faktoren, die eine Person besonders empfänglich für Schädigungen durch EGCG macht, darunter die Genetik und die Art und Weise, wie das Supplement verwendet wird.
„Normalerweise versuchen die Menschen, die Grüntee-Extrakte nehmen, Gewicht zu verlieren, wodurch sie oftmals nicht essen“, erklärt Dr. Bonkovsky. „Wir wissen aus Tierstudien, dass die Tiere auf nüchternen Magen Katechine, wie z.B. EGCG, zu einem höheren Prozentsatz aufnehmen. Auch könnten Interaktionen mit anderen Medikamenten, Chemikalien oder Alkohol bestehen, die eine modifizierende Rolle spielen könnten.
Während Millionen von Menschen Grüntee-Supplemente ohne Probleme einnehmen, sind bisher weltweit mindestens 80 Fälle von Leberschäden bekannt, die auf Grüntee zurückzuführen. Darunter waren Teenager wie die 17-jährige Madeline Papineau aus Kanada, die Leber- und Nierenschäden davon trug, sowie eine 81 Jahre alte Frau, die mit akuter Hepatitis diagnostiziert wurde.
Eine aktuelle Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über die Sicherheit von Grüntee kam zu dem Ergebnis, das Katechine aus Grüntee-Getränken allgemein sicher sind. Wenn sie jedoch als Nahrungsergänzungsmittel in Mengen über 800 mg pro Tag eingenommen werden, könnten Gesundheitsgefahren bestehen. Die EFSA konnte eine sichere Dosierung auf Basis der bestehenden Daten nicht identifizieren und forderte nach mehr Studien zur Toxizität.
Am Tag, nachdem man Jim sagte, er benötige ein Lebertransplantat, erzählte man im überraschend, dass ein geeignetes Spenderorgan gefunden wurde. „Ich war erleichtert. Der Anruf, dass es eine Übereinstimmung gibt, gab mir Hoffnung, dass es auf der anderen Seite etwas Positives für mich gibt“, sagte er. Das Transplantat rettete Jim das Leben. Jahre später hat er jedoch weiterhin ernsthafte gesundheitliche Probleme, darunter eine Nierenerkrankung, die ihn zur Dialyse und später zu einem Nierentransplantat zwingt. Er muss zwei Mal im Jahr zum Leber- und Nierenspezialisten und lebt mit chronischen Bauchschmerzen.
„Vorher war mein Leben sehr aktiv und nun ist es sehr bewegungsarm. Ich kämpfe mit Müdigkeit“, klagt er.
Glücklicherweise lassen ihn seine Vorgesetzten von zu Hause arbeiten. „Ich muss mich vielleicht für 20 bis 30 Minuten am Tag hinlegen. Dann kann ich meinem Vorgesetzten sagen, dass ich kurz offline gehe und später zurück bin.“ Jim verfolgt mittlerweile einen Rechtsstreit gegen den amerikanischen Konzern Vitacost, welcher das Produkt verkauft, das Jim genommen hat. „Ich erhoffe mir, dass sie einen sehr aussagekräftigen Warnhinweis auf das Etikett drucken und auf die Website schreiben, der die Leute darüber informiert“, sagt Jim.
Vitacost möchte sich zu diesem Rechtsfall nicht äußern, sagt aber: „Wir nehmen die Sicherheit unserer Vitacost Marke sehr ernst und stehen hinter der Qualität unserer Produkte.“ Vier Jahre später reflektiert Jim, wie sich sein Leben und das seiner Familie verändert hat, nachdem er das Supplement einnahm. „Ich rechnete damit, dass ich vielleicht mein Geld mit dem Extrakt verschwende, aber ich habe nicht erwartet, dass er meine Gesundheit bedroht. Ich nehme diese Pillen und vielleicht wirken sie nicht. Dieses Risiko kann ich eingehen“, sagt er. „Aber das Risiko, dass meine Leber vielleicht versagt, ist ein Risiko, das zu hoch ist, dass man es eingehen könnte.“
Primärquelle:
bbc.com/news/stories-45971416?fbclid=IwAR1DfKrj1bsUr8MTS_aBeh3MLuvnSBVFvaAbgr_PpMsQ1EiiBbGnO18Rumw
Literaturquellen:
Kantor, Elizabeth D., et al. „Trends in dietary supplement use among US adults from 1999-2012.“ Jama 316.14 (2016): 1464-1474.
EFSA Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food (ANS), et al. „Scientific opinion on the safety of green tea catechins.“ EFSA Journal 16.4 (2018): e05239.