Nicht zuletzt, weil es im Bodybuilding unendlich viele Trainingsansätze gibt, sind Athleten schnell verunsichert. Es ist fast wie auf Eiern zu laufen. Teilweise wird mit höchster Sensibilität vorgegangen, damit auf keinen Fall Fehler passieren. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich auch die Wissenschaft immer mehr für das Krafttraining interessiert, analysiert der moderne Hobbysportler jede Studie und lotet aus, wie evidenzbasiert sein aktuelles Training ist. Hat man früher einfach nur trainiert und gegessen, muss im Jahr 2018 erst durch Meta-Analysen belegt sein, was wirkt und was nicht. Diese Entwicklung ist zwar oft wünschenswert, doch in der Vergangenheit gab es nicht nur effektive Tipps, die sich dennoch teilweise bis heute hartnäckig festgesetzt haben.
So gibt es viele Regeln, die in der Welt des Bodybuildings gepredigt werden. Ohne Zweifel gibt es viele unter ihnen, die ihre Daseinsberechtigung haben. Teilweise sollte man aber Abstand von einigen nehmen.
Wer schon länger im Kraftsport aktiv ist, wird wissen, dass es inzwischen viele wissenschaftliche Arbeiten gibt, die zahlreiche Trainingsideologien als Mythos aufgedeckt haben. Damit ist nicht der Glaube gemeint, dass Cardiotraining Muskeln verbrennt oder das Training auf einem Bosu-Ball den Core stärken könnte – diese Regeln sollten schon vor Jahren gebrochen worden sein.
Anfängerfehler werden relativ schnell eigenständig erkannt und verworfen. Wenn man aber ein fortgeschrittener Athlet ist, der sich bereits ein Fundament aufgebaut hat und nach den nächsten Anpassungen weiteren Zuwachs sucht, tappt man schnell in die Falle.
In dieser Situation kann es schnell passieren, dass man ohne zu hinterfragen die Regeln einiger alteingesessener Pumper übernimmt und seine individuellen Voraussetzungen dabei vergisst. Dabei ist kritisches Denken und Handeln wohl einer der wichtigsten Faktoren, um Trainigsplateaus zu überwinden.
Falls man die folgenden Regeln blind in seine Trainingsgestaltung übernommen hat, sollte man seinen Plan noch einmal überdenken!
#1 – Kniebeugen mit einer vorbestimmten Fußbreite!
Wenn man nach einer Kniebeuge-Ausführung sucht, die tief und gleichzeitig schmerzfrei ist, gibt es kein allgemeingültiges Rezept und man ist auf Trial & Error angewiesen. Anstatt auf den allseits bekannten schulterbreiten Stand fixiert zu sein, sollte man im Hinterkopf behalten, dass die ideale Standposition immer von der individuellen Anatomie abhängig ist.
Kein Beckengürtel dieser Welt gleicht dem anderen. Einige Hüftpfannen sind breit, andere wiederum eng und nach vorne gerichtet. Damit nicht genug. Teilweise sind sie auch noch in sich verschachtelt, was schnell dazu führen kann, dass eine tiefe Kniebeuge überhaupt nicht möglich ist.
Aus diesem Grund muss die Kniebeuge mit einem leichten Gewicht in den verschiedensten Variationen geübt werden. Nur so kann eine Ausführung gefunden werden, bei der man keine Schmerzen verspürt, gleichzeitig eine optimale Tiefe erreicht und die Wirbelsäule neutral halten kann.
#2 – Niemals die Knie über die Zehen wandern lassen!
Über Jahre hinweg wurde gepredigt, dass Scherkräfte, die auf die Knie einwirken, zerstörerisch sind. Dabei sind wir ihnen jeden Tag in unseren normalen Aktivitäten ausgesetzt. Solange man einen gegebenen Bewegungsspielraum hat, kann dieser auch genutzt und trainiert werden.
Die Wahrheit ist, dass das ständige Bemühen darum, die Knie nicht über die Zehenspitzen wandern zu lassen, dazu führt, dass man sich selbst eines riesigen Potenzials beraubt. Wenn man seinen Bewegungsspielraum einschränkt, wird man niemals Fortschritte bei der Dorsalextension – also der Bewegung im Sprunggelenk und Fußrücken – verzeichnen können.
Gerade bei großgewachsenen Sportlern ist es kritisch. Eine zwanghafte vertikale Haltung des Schienbeins limitiert die Tiefe, die man als großer Athlet erreichen kann, sodass der eigentliche Trainingseffekt vernichtet wird.
Auch hier gilt, dass eine Ausführung gefunden werden muss, die zur individuellen Anatomie passt.
#3 – Ein Workout pro Muskelgruppe!
Wenn man wirklich stark und muskulös werden möchte, führt kein Weg an hochfrequentem Training vorbei. Viele Athleten erkennen das, realisieren aber nicht, dass das für jede einzelne Trainingseinheit gilt.
Anstatt in ein einziges Workout möglichst viel Volumen zu packen, würde es viel mehr Sinn ergeben, ein identisches Volumen auf zwei Workouts zu verteilen, die dafür mehr als ein Mal in der Woche ausgeführt werden.
Solange Ernährung und Regeneration nicht leiden, wird zusätzliches Volumen innerhalb einer Trainingswoche für mehr Muskeln und Kraft sorgen. Hat man also Streichhölzer als Beine, ist man gut damit beraten, zwei Unterkörper-Workouts in der Woche zu absolvieren. Bevor hier Angst vor einem Muskelkater auftritt, kann man die Einheiten strategisch planen.
Das erste Workout wird auf hüftdominante Übungen (Romanian Deadlifts, Hip Thrusts, Low Bar Box Squats und konventionelles Kreuzheben) ausgerichtet. Das zweite visiert kniedominante Übungen wie tiefe Frontkniebeugen, Beinpresse, Ausfallschritte und den Beinstrecker an.
So kann genügend Regeneration gewährleistet werden, während gleichzeitig die Frequenz gesteigert wird.
#4 – Kraftzuwächse in jeder Trainingseinheit!
Es gibt einige Übungen, in denen einfach kein Streben nach einem persönlichen Rekord notwendig ist.
Wenn es nur darum geht, möglichst breit und groß zu werden, muss keine Höchstleistung im Akkord erbracht werden. Man wird keinen Athleten finden, der einen persönlichen Rekord von 200 Kilogramm beim Facepull hat. Und falls es diesen Athleten gibt, wird er nicht besser in den Grundübungen sein als ein Athlet, der wesentlich weniger beim Facepull bewegt.
Natürlich ist das überspitzt dargestellt. Der Punkt ist aber, dass einige Übungen dafür genutzt werden sollten, um Bewegungsmuster zu verinnerlichen, gerade wenn es um kleine Muskelgruppen geht. Wird bei diesen eine Bewegung korrekt ausgeführt, bedarf es keiner hohen Gewichte, um sie ausreichend zu trainieren.
Riesige Gewichte beim Seitheben, bei Flys oder beim Facepull führen dazu, dass jeder nur mögliche Hilfsmuskel rekrutiert wird, damit die Bewegung irgendwie gelingen kann. Der eigentliche Zielmuskel rückt dabei in den Hintergrund.
Zusätzlich dazu werden auch die Gelenke nicht über eine dauerhafte Steigerung der Gewichte erfreut sein. Man fährt also besser, wenn man einen Großteil der Isolationsübungen dafür nutzt, um seinen Bewegungsspielraum, seine Ausdauer und seine Ausführung zu verbessern.
#5 – Mit dem Trainingsplan verheiratet sein!
Erfahrungsgemäß besteht das größte Problem bei der kontinuierlichen Verfolgung eines Trainingsplans darin, dass man schnell eine Abhängigkeit entwickelt. Daraus resultiert, dass man nie über den Status eines Trainingsanfängers kommt, der ein Gefühl dafür entwickelt, wann es Zeit wird, Anpassungen vorzunehmen und einen eigenen Plan zu erstellen.
Wer stur nach einem vorgegebenen Plan trainiert, wird kaum ein Gefühl für seinen Körper entwickeln.
Am wichtigsten beim intuitiven Training ist aber die mentale Freiheit, die daraus entsteht. Warum? Als erfahrener Athlet ist es leicht, ein schlechtes Workout oder einen verpatzten PR-Versuch zu verkraften.
Wer erkennt, dass die Trainingsziele nur auf einem Hobby basieren, nimmt keine schlechte Stimmung nach einem unbefriedigenden Workout mit nach Hause und kann ohne Ballast in die nächste Einheit starten.
Die Take-Home-Message ist simpel: Jeder Athlet sollte sein Training individuell auf sich zuschneiden. Trainingsprogramme sind zwar oft wissenschaftlich belegt, trotzdem aber von einer anderen Person ausgearbeitet – eine Person, die nicht wissen kann, wie sich ein individueller Körper verhält.
Folglich kann man nur erfolgreich werden, wenn man immer wieder lernt, welche Ansätze für den eigenen Körper Früchte tragen, selbst wenn die komplette Wissenschaft anderer Meinung ist.
Zweifelsfrei kann man viel aus Erfahrungen mitnehmen und ein Mix zwischen Broscience und evidenzbasierten Ansätzen bildet letztendlich den goldenen Mittelweg. Trotzdem darf nie der Fehler gemacht und jeder Aussage blind vertraut werden. So gibt es Regeln, die nicht für jeden Athleten gleichermaßen gelten, weil viel im Bodybuilding immer vom individuellen Standpunkt zu betrachten ist. Die oben besprochenen Regeln dürfen deshalb gerne gebrochen werden.
Quelle: muscleandstrength.com/articles/5-rules-you-should-break-in-strength-training