Das Hauptproblem beim traditionellen Dehnen ist, dass es oftmals nicht für, sondern gegen die Physiologie des Körpers arbeitet. Wenn man einen kalten Muskel nach bekanntem Muster dehnt, können dabei Vernarbungen im Gewebe und Mikrorisse die Folge sein, was die Muskulatur wiederum schwächer, unflexibler und anfälliger für Verletzungen macht. Dennoch wird Stretching von vielen Studiogängern in gewisser Weise als Aufwärmen vor dem eigentlichen Training gesehen. Das ist so allerdings nicht richtig!
Eine Studie, deren Ergebnisse im Journal of Strength and Conditioning veröffentlicht wurden, legt nämlich nahe, dass Dehnen vor dem Krafttraining unsere Leistung verringern und Dysbalancen während dem Workout hervorrufen kann. Keine Effekte, die man beim Bewegen schwerer Gewichte gerne erfahren möchte.
Forscher der University of Zagre durchkämmten hunderte früherer Experimente, in denen die Probanden sich dehnten und daraufhin auf die unterschiedlichsten Arten ihre Muskelkraft testeten. Insgesamt fanden die Wissenschaftler 104 Studien, die ihren Kriterien entsprachen.
Die Zahlen, vor allem im Bezug auf Wettkampfsportler, waren ernüchternd. Gemäß der Kalkulation der Forscher würde traditionelles Dehnen die Kraft in der Muskulatur um bis zu 5,5 Prozent verringern, wobei sich der negative Einfluss erhöhe, sofern man eine bestimmte Dehnübung für 90 Sekunden oder länger halte. Die explosive Leistungsfähigkeit der Muskulatur sinke mit 2,8 Prozent ebenfalls in statistisch signifikantem Ausmaß.
Eine ähnliche Schlussfolgerung wurde von Autoren einer anderen Studie getroffen, in der junge und fitte Männer normale Kniebeugen ausführten. Eine Gruppe sollte sich zuvor dehnen, die andere nicht. Mit vorangegangenem Stretching konnten die Probanden 8,3 Prozent weniger Gewicht bewegen. Was aber noch interessanter war: Die Testpersonen dieser Gruppe berichteten auch, dass sie sich während der Übung instabiler fühlten als gewohnt.
Geht es um die allgemeine Gesundheit, die Leistung oder den Aufbau von Muskelmasse, sollte man sich am besten nach dem Training dehnen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Bindegewebe bereits durch das gesteigerte Blutvolumen innerhalb der Muskulatur vorgedehnt.
Durch manuelles Dehnen im Anschluss ans Workout verstärkt man zudem die Effekte der Trainingseinheit selbst, da durch den Stretch das Wachstumspotenzial der Muskelfasern drastisch erhöht wird!
Wie wärmt man sich dann am besten auf?
Statt Dehnen bietet sich ein gezieltes und dynamisches Aufwärmen an, das man auch als TDW (targeted dynamic warm-up) bezeichnet.
Effektiv ist dies aus den folgenden Gründen:
- Es werden alle während des Trainings benötigten Muskeln und Gelenke aktiviert und „geschmiert“, während man die Körpertemperatur steigert. Ein standardmäßiges TDW beansprucht für gewöhnlich den ganzen Körper, was in Ordnung ist. Man sollte jedoch keine Zeit verschwenden, denn wenn man an einem bestimmten Tag die Brust trainieren möchte, wird das dynamische Aufwärmprogramm auch auf diese Muskelgruppe angepasst.
- Der Geist wird auf das bevorstehende Workout vorbereitet. Sobald man im Laufe seiner Trainingskarriere ein bestimmtes Niveau erreicht hat, ist das Mindest das ultimative Werkzeug, um Plateaus im Gym zu überwinden und sich selbst zu übertreffen. Möchte man seinen Körper auf maximale Leistung trimmen, muss auch der Geist vorbereitet sein. Ein TDW stellt sicher, dass du fokussiert und bereit bist, sobald das Training startet!
Ein gezieltes und dynamisches Aufwärmen kann wie folgt aussehen!
Schritt 1: Cardio für drei bis fünf Minuten
Ein wenig anschwitzen ist immer eine gute Idee. Dadurch wird der Blutfluss angeregt und alle ablenkenden Gedanken finden ein Ende. Hierfür kann man beispielsweise ein Springseil verwenden, aber grundsätzlich eignet sich jede Form der kardiovaskulären Aktivität. Seilspringen ist deshalb besonders vorteilhaft, weil man durch eventuelles Stolpern merkt, dass man noch nicht fokussiert genug ist und sich länger aufwärmen muss.
Schritt 2: Gezielte und dynamische Übungen/Bewegungsmuster
Hierbei werden die für das Workout primär benötigten Gelenke und Muskeln aufgewärmt. Die Übung, die man dafür verwendet, ist dieselbe, die auch in dieser Trainingseinheit als erstes auf dem Programm steht.
Du arbeitest dich allmählich mit dem Gewicht nach oben. Wenn du fast am Trainingsgewicht angekommen bist, bereitest du dein zentrales Nervensystem noch einmal abschließend auf den ersten schweren Satz vor. Je nachdem, wie du dich fühlst, legst du deine für diesen Tag maximale Arbeitslast auf, um dich für das kommende Workout zu wappnen.
Zum Abschluss ein Beispiel für den zweiten und letzten Schritt eines TDW:
Satz 1: 50 Prozent des späteren Arbeitgsgewichts für zwölf Wiederholungen, gefolgt von 60 Sekunden Pause.
Satz 2: 50 Prozent des späteren Arbeitgsgewichts für zehn Wiederholungen, gefolgt von 60 Sekunden Pause.
Satz 3: 70 Prozent des späteren Arbeitgsgewichts für vier Wiederholungen, gefolgt von 60 Sekunden Pause.
Satz 4: 90 bis 100 Prozent des späteren Arbeitgsgewichts für eine Wiederholung.
Nach zwei bis drei Minuten Pause beginnst du dann mit deinem ersten richtigen Satz!
Quelle: t-nation.com/training/tip-the-worst-time-to-stretch
Referenzstudie:
Funk et al., Impact of Prior Exercise on Hamstring Flexibility: A comparison of Proprioceptive Neuromuscular Facilitation and Static Stretching, Journal of Strength and Conditioning. Research Volume 17, Number 3, 2003 pp. 489-492.
Simic, L., Sarabon, N., & Markovic, G. (2013, March). Does pre-exercise static stretching inhibit maximal muscular performance? A meta-analytical review.