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Welchen Stellenwert hat der Beinbeuger in der Kniebeuge?

Die Kniebeuge ist klassischerweise eine Übung, die vor Allem den Quadrizeps trainieren soll, aber als Mehrgelenksübung auch weitere Muskelgruppen in hohem Maße involviert. Um die Leistung in dieser Übung zu verbessern, müsse aus diesem Grund auch mehr als nur der Vorderseite des Oberschenkels eine gewisse Beachtung geschenkt werden. Einige Athleten und deren Coaches behaupten beispielsweise, der Beinbeuger würde in der Kniebeuge maßgeblich involviert sein und müsse für eine maximale Leistung trainiert werden. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass der Beinbeuger in der Kniebeuge nur wenig aktiv ist. Schauen wir uns an, wer von beiden recht hat.

Die Anatomie und Funktion der hinteren Oberschenkelmuskulatur

Der Beinbeuger besteht aus drei verschiedenen Muskeln, dem Bizeps femoris, der technisch gesehen ebenfalls aus einem kurzen und einem langen Kopf besteht, dem Musculus semitendinosus sowie dem Musculus semimembranosus. Jeder dieser Muskeln besitzt seinen Ansatz auf der Rückseite des Schienbeins, knapp unterhalb des Knies. Alle bis auf den kurzen Kopf des Bizeps femoris haben ihren Ursprung außerdem an der Rückseite des Beckens, wohingegen der kurze Kopf des Bizeps femoris an der Rückseite des Oberschenkelknochens entspringt.

Beinbeuger Kniebeuge
Der Beinbeuger besteht aus drei verschiedenen Muskeln an der Rückseite des Oberschenkels.

Da jeder dieser Muskeln mit Ausnahme des kurzen Kopfes des Bizeps femoris über zwei Gelenke verläuft, ist der Beinbeuger auch an der Bewegung zweier Gelenke beteiligt. Er kann zum einen die Hüfte strecken, wie beispielsweise bei Deadlifts, Hyperextensions oder Good Mornings. Zum anderen kann er das Knie beugen, wie es bei Beincurls, Glut-Ham-Raises oder Nordic Curls der Fall ist. Ebenso kann er geringfügig bei Rotationsbewegungen und der Stabilisation des Kniegelenks helfen. Die hintere Oberschenkelmuskulatur beugt also im Grunde das Knie und streckt die Hüfte. Wie kann das aber mit der Kniebeuge zusammenhängen?

Der Widerspruch

Wenn wir uns die Muskelgruppen des Unterkörpers genauer ansehen, erkennen wir, dass viele von ihnen über zwei Gelenke arbeiten. Bei oberflächlicher Betrachtung der Anatomie des Unterkörpers scheint es, als sollte es unmöglich sein, eine Kniebeuge auszuführen. Warum können wir es dennoch? Den Großteil dieser verfahrenen Situation deckte 1903 W. P. Lombard auf. Er konnte anhand einer biomechanischen, mathematischen Analyse behaupten, dass ein Muskel unter gewissen Umständen und Voraussetzungen paradox arbeiten kann. Seither nennen wir seine Entdeckung das „Lombard‘sche Paradoxon“ [1, 2]. In Bezug auf die Kniebeuge stellt es die Frage, wie wir aus einer sitzenden Position aufstehen können, wenn verschiedene Muskeln des Unterkörpers gegensätzliche Bewegungen an verschiedenen Gelenken vornehmen.

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Lombard entwickelte eine Vermutung und stellte verschiedene Regeln für die intramuskuläre Koordination von Muskeln auf, die über zwei Gelenke arbeiten [1].

Die Muskeln des Beinbeugers entsprechen diesen Regeln sehr gut:

  1. Der Muskel muss am Ende, an dem er als Strecker agiert, eine stärkere Hebelkraft aufweisen. Die Kraft des Beinbeugers bei einer Hüftsteckung ist größer als beim Beugen der Knie.
  2. Es muss einen ebenfalls zweigelenkigen Muskel geben, der als Antagonist fungiert. Im Falle des Beinbeugers ist dies der rectus femoris. Er gehört zum Quadrizeps und übernimmt die Streckung des Knies sowie die Beugung der Hüfte.
  3. Der Muskel muss eine ausreichende Kraft und Hebelwirkung besitzen, um die passiven Kraft der Sehne des gegenüberliegenden Muskels auszunutzen. In unserem Beispiel die Sehne des rectus femoris.

Da die Muskeln des Beinbeugers und des rectus femoris beide an Hüft- und Kniegelenk arbeiten, verändert keiner von ihnen seine Länge während der Kniebeuge maßgeblich. Daher können sie aufgrund ihrer gegensätzlichen Wirkung auf das Hüftgelenk durch sich gegenseitig eine Kraft aufwenden, die uns dabei hilft, die Knie und die Hüfte gleichzeitig zu strecken. Bewegungen wie Laufen, Gehen oder sogar eine Kniebeuge gehören seit Jahrtausenden zum Alltag des Menschen. Wir als Spezies hatten genügend Zeit, diese Bewegungsmuster zu perfektionieren und die Kniebeuge ist das perfekte Beispiel dafür.

Wie sollten wir unseren Quadrizeps trainieren?

Im Vergleich zu anderen Muskelgruppen wird das Beintraining von vielen Hobbyathleten besonders zu Beginn ihrer Trainingskarriere tendenziell vernachlässigt. Wer es allerdings ernst meint mit dem Bodybuilding oder sogar auf die Bühne möchte, der wird nicht drumherum kommen, ausgiebig seinen Quadrizeps zu trainieren. Ein Sprichwort besagt sogar, dass die Beine neben dem Rücken einen Wettkampf gewinnen […]

Für ihre Ausführung ist eine komplizierte intramuskuläre Koordination erforderlich. Bestimmte Anteile jedes Muskels müssen genau zur richtigen Zeit aktiv sein. Zum Nachteil unseres Beinbeugers stellen der Gluteus und die Adduktoren die wesentlichen Hüftstrecker dar. Wir brauchen unseren Beinbeuger in der Kniebeuge im Grunde also nicht, um die Hüfte zu strecken. Dies ist auch der Grund dafür, dass Forscher während der Kniebeuge nur eine minimale Aktivierung des Beinbeugers nachweisen können.

Der Beinbeuger ist in einer Kniebeuge geringfügig aktiv, um das Knie zu stabilisieren und Kraft für die Bewegung beizutragen. Würde er jedoch tatsächlich dabei kontrahieren und sich somit verkürzen, wären wir nicht dazu in der Lage, die Bewegung auszuführen. Die hintere Oberschenkelmuskulatur würde unsere Knie beugen anstatt zu strecken. Es wäre uns also nicht möglich aufzustehen. Dieser Mangel an Aktivierung äußert sich weiterhin darin, dass die Beinbeugermuskulatur in Langzeitstudien nicht zum Wachstum angeregt wurde, wenn darin ausschließlich Kniebeugen ausgeführt wurden [2].

Stattdessen erfahren der Gluteus und die Adduktoren einen signifikanten Muskelaufbau durch die Ausführung der Kniebeuge, besonders wenn die Kniebeuge mit einer Tiefe von unter 90 Grad ausgeführt wird [2, 3]. Auch EMG-Daten zeigen nur eine geringfügige Aktivierung der Beinbeuger während einer Kniebeuge verglichen mit Übungen, bei denen die Knie gebeugt und/oder die Hüfte gestreckt wird [4]. Zahlreiche weitere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Beinbeuger Kniebeuge
Gemessen an der EMG-Aktivität scheint der Beinbeuger in der Kniebeuge nur geringfügig aktiviert zu werden [3].
Insgesamt betrachtet hilft uns der Beinbeuger bei einer Kniebeuge insofern, dass der an der komplizierten intramuskulären Koordination beteiligt ist. Allerdings bringt diese Muskelgruppe keine treibende Kraft für die Bewegung auf. Da die Adduktoren nicht über das Kniegelenk arbeiten, befinden sie sich in einer deutlich besseren Position, um bei einer Kniebeuge die Streckung der Hüfte zu übernehmen [5]. Für Übungen, die der Kniebeuge ähnlich in ihrem Bewegungsmuster sind, also gleichzeitig die Knie und Hüfte strecken, bedeutet das im Grunde dasselbe. Beispiele dafür sind Ausfallschritte, Beinpressen, Split-Squats oder Step-Ups. Dennoch zeigt sich der Beinbeuger besonders aktiv beim Kreuzheben [3, 6]. Wie kann das sein?

Kniebeugen vs. Kreuzheben

Viele Menschen glauben, das Kreuzheben sei der Kniebeuge sehr ähnlich. Allerdings ist das nicht wirklich der Fall. Eventuell könnte man das Kreuzheben mit einer Trap-Bar eher mit der Kniebeuge vergleichen, doch zum Zwecke dieses Artikels bleiben wir bei der konventionellen Variante. Wenn wir die Aktivität der Muskeln im Beinbeuger bei der Kniebeuge mit der Aktivität beim Kreuzheben vergleichen wollen, müssen wir uns die spezifische Biomechanik beider Übungen ansehen. Beide umfassen zweifelsfrei eine Streckung der Hüfte. Sie unterscheiden sich jedoch im Gelenkwinkel, an dem die größte Kraft der Hüftstreckung aufgebracht werden muss.

Am Startpunkt des Kreuzhebens haben wir nur einen sehr geringen Hebelarm im Kniegelenk. Das bedeutet, dass wir für einen kleinen Moment zu Beginn der Bewegung unsere Knie strecken müssen, wofür eine Aktivierung des Quadrizeps erforderlich ist, um das Gewicht in Bewegung zu bringen. Sobald es sich jedoch vom Boden abhebt, besteht kein bedeutsamer Hebelarm mehr am Kniegelenk [7, 8]. Ab diesem Punkt involviert das Kreuzheben fast ausschließlich eine Hüftstreckung. Während der Beinbeuger die Hüfte nicht in einer tiefen Kniebeugen-Position strecken kann, ist er sehr gut dazu in der Lage, sie über einen Großteil des Kreuzhebens zu strecken, da in dieser Übung die Knie nur minimal gebeugt sind.

Welche Variante des Kreuzhebens passt am besten zu dir?

Das Kreuzheben, aus dem Englischen auch als „Deadlifts“ in den deutschen Sprachgebrauch übernommen, gehört zweifelsfrei zu den beliebtesten Übungen im Kraftsport. Während es im Powerlifting zu einer der drei Übungen zählt, auf die es am Wettkampftag ankommt, bedienen sich auch zahlreiche Bodybuilder des Hebens einer Hantel vom Boden. Aufgrund der Tatsache, dass der gesamte Körper […]

Aus diesem Grund eignet sich das Kreuzheben mit gestreckten Beinen auch besser dafür, den Beinbeuger zu trainieren als konventionelles Kreuzheben. Die gestreckten Beine eliminieren den Startpunkt der Übung und lenken die Last direkt auf den Beinbeuger, um die Hüfte zu strecken. Bei einer tiefen Kniebeuge hingegen besteht die größte Anforderung der Hüftstreckung am unteren Ende der Bewegung, an dem der Beinbeuger aufgrund des Kniewinkels ohnehin wenig dazu beitragen kann [8, 9]. Während einer gut ausgeführten Kniebeuge strecken sich Knie und Hüfte in einer ähnlichen Rate, sodass die hintere Oberschenkelmuskulatur nie in einer guten Position ist, um die Hüfte unabhängig der Knie zu strecken.

Ausnahmen bestätigen die Regel?

Wiederholen wir noch einmal den letzten Satz des vorherigen Abschnitts:

Während einer gut ausgeführten Kniebeuge strecken sich Knie und Hüfte in einer ähnlichen Rate, sodass die hintere Oberschenkelmuskulatur nie in einer guten Position ist, um die Hüfte unabhängig der Knie zu strecken.

Was passiert aber, wenn wir beim Kniebeugen einen Maximalkraftversuch machen oder aufgrund des Muskelversagens in der letzten Wiederholung eine schlechte Technik an den Tag legen, sodass sich Knie und Hüfte nicht gleichmäßig strecken? Wir haben das wahrscheinlich alle schon einmal gesehen oder am eigenen Körper gespürt. Es kann passieren, dass sich zwar die Knie strecken, aber die Hüfte sich kaum bewegt, sodass wir nach vorn kippen und uns eher in einer Good-Morning-Position wiederfinden. Biomechanisch gesehen erinnert diese Position an das Kreuzheben und in diesem ungewollten Fall kann der Beinbeuger in der Kniebeuge tatsächlich zu einem der Hauptakteure werden, um das Gewicht noch nach oben zu bringen.

Beinbeuger Kniebeuge
Wenn sich bei einer Kniebeuge die Knie schneller strecken als die Hüfte, kommt es zu einer Good-Morning-Position, in der der Beinbeuger stärker an der Streckung der Hüfte beteiligt ist, um das Gewicht nach oben zu bringen.

Währen eine Kniebeuge mit guter Technik den Beinbeuger also wenig trainiert oder zum Wachstum stimuliert, können wir sehen, dass die Kraft der hinteren Oberschenkelmuskulatur sehr wichtig ist, um die Leistung in der Kniebeuge oder das Muskelwachstum allgemein zu fördern. Nicht jede Wiederholung ist perfekt und wenn das Ziel lautet, entweder Kraft oder Muskelwachstum durch Kniebeugen zu optimieren, wirst du dich hin und wieder in dieser Good-Morning-Position wiederfinden. Allein schon aus Gründen der Verletzungsprophylaxe ist es daher wichtig, die Hüftstreckung durch Übungen zu trainieren, die keine Kniestreckung umfassen.

Fazit und Zusammenfassung

Zusammenfassend können wir im Grunde sagen, dass sowohl die Forscher als auch die Coaches und Athleten recht haben. Der Beinbeuger ist in der Kniebeuge nicht besonders aktiv und trägt unter Einhaltung einer sauberen Ausführung kaum zu dieser Bewegung bei. Daher wird er beim Kniebeugen auch nicht besonders stark trainiert oder zum Muskelwachstum angeregt. Die Kraft des Beinbeugers kann dennoch zum limitierenden Faktor werden, wenn die Ausführung der Kniebeuge aufgrund des Muskelversagens leidet. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Beinbeuger separat zu trainieren.

Bodybuilder sollten darauf achten, ausreichend direkte Übungen für den Beinbeuger in das Beintraining zu integrieren, welche die Beugung der Knie und Streckung der Hüfte umfassen, da die Kniebeuge allein nicht ausreicht, um die Rückseite des Oberschenkels zu entwickeln. Powerlifter können den Sticking-Point in der Kniebeuge trainieren, indem sie regelmäßig Good Mornings ausführen und natürlich auf das Kreuzheben in verschiedenen Ausführungen setzen.

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Primärquelle: Charlie Ottinger: „Hamstrings in the Squat“, https://themusclephd.com

Literaturquellen:

  1. Kuo, ARTHUR D. „The action of two-joint muscles: the legacy of WP Lombard.“ Classics in movement science (2001): 289-316.
  2. Kubo, Keitaro, Toshihiro Ikebukuro, and Hideaki Yata. „Effects of squat training with different depths on lower limb muscle volumes.“ European journal of applied physiology 119.9 (2019): 1933-1942.
  3. Bloomquist, K1, et al. „Effect of range of motion in heavy load squatting on muscle and tendon adaptations.“ European journal of applied physiology 113.8 (2013): 2133-2142.
  4. Ebben, William P. „Hamstring activation during lower body resistance training exercises.“ International journal of sports physiology and performance 4.1 (2009): 84-96.
  5. Németh, Gunnar. „On hip and lumbar biomechanics. A study of joint load and muscular activity.“ Scandinavian journal of rehabilitation medicine. Supplement 10 (1984): 1-35.
  6. Camara, Kevin D., et al. „An examination of muscle activation and power characteristics while performing the deadlift exercise with straight and hexagonal barbells.“ The Journal of Strength & Conditioning Research 30.5 (2016): 1183-1188.
  7. ESCAMILLA, RAFAEL, et al. „A three-dimensional biomechanical analysis of sumo and conventional style deadlifts.“ Medicine & Science in Sports & Exercise 32.7 (2000): 1265-1275.
  8. Hales, Michael E., Benjamin F. Johnson, and Jeff T. Johnson. „Kinematic analysis of the powerlifting style squat and the conventional deadlift during competition: is there a cross-over effect between lifts?.“ The Journal of Strength & Conditioning Research 23.9 (2009): 2574-2580.
  9. Escamilla, Rafael F., et al. „A three-dimensional biomechanical analysis of the squat during varying stance widths.“ Medicine and science in sports and exercise 33.6 (2001): 984-998.
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