Wir wollen hier weder eine Moralpredigt über die Verwendung von Steroiden halten noch eine Empfehlung aussprechen. Man muss aber berücksichtigen, dass AAS deine physiologischen Bedingungen komplett verändern. Das bedeutet, dass Ernährungs- und Trainingsstrategien, die auf einen Natural Athleten abgestimmt sind, nicht optimal sind für einen Athleten, der mit medikamentöser Unterstützung trainiert und umgekehrt. Im Folgenden sollen zunächst die vier von insgesamt zehn in diesem Zusammenhang wichtigsten Fragen beantwortet werden.
1 – Wer muss häufiger trainieren?
Antwort: Natural Athleten
Eine höhere Trainingsfrequenz – damit ist die Häufigkeit des wöchentlichen Trainings insgesamt sowie die Häufigkeit der Stimulierung eines Muskels gemeint – ist grundsätzlich sowohl Naturalen als auch Steroidkonsumenten anzuraten. Für natural Trainierende hat dieser Aspekt aber eine noch größere Bedeutung.
Während man auf AAS auch dann noch signifikante Zuwächse verzeichnen kann, wenn man jeden Muskel nur einmal pro Woche reizt, muss man als Naturaler eine mehrfache Stimulierung pro Muskel und Woche einplanen. Wenigstens zweimal, idealerweise drei- bis viermal wöchentlich sollte man den Muskel bearbeiten, um am Anfang einer Trainingskarriere eine signifikante Wachstumsrate zu erzielen.
Der Schlüssel zum Muskelaufbau ist die Auslösung des Proteinsyntheseprozesses, bei dem der Körper Aminosäuren zum Aufbau von Gewebe nutzt. Wenn man mehr Muskelwachstum erzeugen will, dann muss die Proteinsynthese auf ein ein höheres Maß geschraubt und auf diesem erhöhten Niveau länger aufrechterhalten werden.
Nach einer Einheit bleibt die Proteinsynthese in den trainierten Muskeln für 24 Stunden erhöht – etwas mehr oder weniger in Abhängigkeit vom Workout. Indem du jeden Muskel nur einmal die Woche trainierst, hältst du die Proteinsynthese in den jeweiligen Muskeln nicht lange aufrecht. Nicht nur das, ja tatsächlich büßt du in der Zwischenzeit sogar schon möglicherweise die Vorzüge der positiven Adaption (das heißt Muskelwachstum) ein.
Das nennt man in der Physiologie auch Involution. Der Körper will keine zusätzliche Muskelmasse mit sich herumschleppen, weil sie nicht nützlich ist. Wenn du also zu lange mit der erneuten Stimulierung des Muskels wartest, verlierst du unter Umständen langsam schon wieder einige deiner Gains. Natürlich nicht alle nach so kurzer Zeit, aber es kann deinen Fortschritt verlangsamen, ohne dass du dir darüber im klaren wärst.
Ein Naturaler braucht die Trainingseinheiten, weil sie der einzige essenzielle Proteinsyntheseauslöser sind, über die er verfügt. Essen unterstützt auch die Proteinsynthese, aber eher innerhalb eines systemischen Rahmens (sprich nicht spezifisch die muskuläre Hypertrophie betreffend) und in geringerem Ausmaß. Der natural Trainierende ist hinsichtlich der Wachstumsstimulierung demnach weit abhängiger von jedem einzelnen Workout als primärem Proteinsynthesetreiber.
Andererseits beschleunigen und verlängern unterstützte Athleten den Proteinsyntheseprozess durch AAS. Die Medikamente halten die Synthese rund um die Uhr auf einem erhöhten Level. Die Trainingseinheiten verstärken die Proteinsynthese selbstverständlich auch noch einmal deutlicher, aber die mehrmalige Stimulierung jeden Muskels pro Woche ist nicht zwangsläufig nötig, um die Proteinsynthese auf erhöhtem Niveau zu halten.
Einige Studien haben gezeigt, dass die Einnahme von anabolen Steroiden das Muskelwachstum sogar völlig ohne Trainingsreiz anregen. Das heißt natürlich nicht, dass man auf diese Weise wirklich massiv wird, aber es lässt den Schluss zu, dass vorhandene Adaptionslevel auf jeden Fall nicht verloren werden, wenn nur einmal die Woche trainiert wird.
Natural Trainierende brauchen das Workout, um die Proteinsynthese zu erhöhen und weil diese nur für 24 bis 36 Stunden erhöht bleibt, müssen sie jeden Muskel öfter trainieren, wenn sie bedeutende Fortschritte erzielen wollen. Auch Athleten auf Steroiden werden mehr Zuwächse mit höherer Trainingsfrequenz erreichen, aber in ihrem Fall ist es keine unabdingbare Voraussetzung.
2 – Wer sollte mehr Cardio machen?
Antwort: Steroidkonsumenten
Nehmen wir an, du konsumiertest Steroide, Wachstumshormone, Clenbuterol oder Peptide. Es ist deine Entscheidung, aber du solltest die Wichtigkeit begreifen, die der Aufgabe der Minimierung der damit verbundenen Gesundheitsrisiken zukommt.
Die zwei relevantesten Maßnahmen, die man hierfür ergreifen kann, ist die Kontrolle des Blutdrucks und der Blutfettwerte. Cardio kann dich diesbezüglich eine lange Zeit deutlich gesünder leben lassen.
Eine niedrige und gleichbleibende Intensität des Cardiotrainings ist gut für die vaskuläre Gesundheit und hilft bei der Verminderung des Blutdrucks; Intervalltraining verbessert die kardiale Funktion. Es kann sogar die Herzelastizität erhöhen und Narbengewebe abzubauen helfen. Beides trägt zu einer verbesserten kardialen Funktion bei und reduziert das Risiko von Herzproblemen.
Du musst auch gar nicht exzessiv viel Cardio treiben. Lediglich 20 Minuten niedrig-intensiven, gleichbleibenden Cardiotrainings (bei einem Puls von 110 bis 115 Schlägen pro Minute) am Anfang oder am Ende deiner Einheit sind sehr hilfreich. Mach‘ dir keine Gedanken, dass diese 20 Minuten bereits die Proteinsynthese beeinträchtigen könnten, denn das ist nicht der Fall. Alternativ kannst du einige längere Spaziergänge und einmal HIIT pro Woche machen.
3 – Wer muss sich beim Volumen beschränken?
Antwort: Natural Athleten
Eine Menge Athleten, natural oder nicht, glauben, dass mehr Volumen auch mehr Wachstum bedeutet. Wir sind dazu erzogen worden, an mehr Gains durch mehr Sätze zu glauben. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch richtig, gerade wenn man mit AAS trainiert. Für Natties aber kann ein zu hohes Volumen auch gerade das Gegenteil bewirken.
Hier sind die Gründe dafür:
- Volumen und Frequenz sollten sich gegenläufig proportional zueinander verhalten. Je häufiger du einen Muskel pro Woche trainierst, desto weniger Volumen pro Einheit solltest du zur Stimulierung dieses Muskels verwenden. Weil Naturale den Muskel häufiger reizen sollten, müssen sie das Volumen je Einheit reduzieren.
- Natural Trainierende werden stärker negativ beeinflusst durch das Stresshormon Cortisol als Athleten auf Medikamenten. Cortisol beschleunigt den Proteinabbau und mindert die Proteinsyntheserate sowie die Nährstoffrezeption durch die Muskeln. Wachstum hängt vom Verhältnis von Proteinaufbau oder Proteinsynthese und Proteinabbau ab. Ein zu hoher Cortisolspiegel wird dieses Verhältnis zugunsten einer negativen Anpassung, sprich zugunsten eines Muskelabbaus beeinflussen.
Cortisol ist der größte Gegner der Hypertrophie beim naturalen Lifter. Warum? Weil Steroide, besonders wenn sie stärker androgen wirken, den Einfluss des Cortisols auf der zellulären Ebene signifikant hemmen. Diese Inhibition wird durch die Bindung des Androgenrezeptors bewerkstelligt. Hierbei wird derselbe Botenstoff zur Andockung an den Rezeptor benutzt, der sonst auch vom Cortisol verwendet wird, um die Botschaft (im Fall des Cortisols: Proteinabbau!) an den Zellkern zu senden. Wenn nun infolgedessen weniger Botenstoffe für das Cortisol zur Verfügung stehen, kann es dementsprechend keine so durchschlagende Wirkung mehr entfalten.
Stark androgene Steroide wie Testosteron, Trenbolon und Halotestin sind hierfür bestens geeignet. Manche Steroide blockieren die Tätigkeit des Cortisols auch direkt (Dianabol zum Beispiel). Wenn also jemand Steroide nutzt, dann ist die Einwirkung von Cortisol auf das Muskelwachstum bedeutend verringert.
Das ist auch der Hauptgrund, warum Sterodkonsumenten Muskelmasse verlieren, wenn sie den Steroidgebrauch einstellen. Die meisten Menschen nehmen an, dass liege daran, dass die körpereigene Testosteronproduktion gestoppt würde und dass der Testospiegel niedrig bleibe, bis der Körper sich erholt habe. Das ist auch nicht ganz falsch, aber das erklärt noch nicht den Muskelverlust.
Sicher, ein niedriger Testospiegel reduziert den Anabolismus, aber er verstärkt nicht den Katabolismus. Was tatsächlich passiert, ist Folgendes: Der Körper versucht, die durch AAS stark verminderte Cortisol-Tätigkeit dadurch zu kompensieren, dass er die Ausschüttung des Stresshormons und auch die Zahl der Cortisolrezeptoren erhöht. Wenn der Athlet dann „off“ geht, bleibt ein höherer Cortisolspiegel, eine erhöhte Anzahl Cortisolrezeptoren und ein Testospiegel nahe null. Eine denkbar schlechte Kombination, denn sie führt zu einem hohen Grad an Proteinabbau und einer sehr niedrigen Proteinsyntheseaktivität. Die logische Folge ist das rapide Schwinden der Muskelmasse.
Um auf unser Thema zurückzukommen: Jedenfalls sind Naturale nicht so gut geschützt vor exzessiver Cortisol-Ausschüttung und die Funktion des Cortisols während des Trainings (ja, die gibt es! Cortisol ist nicht unnütz!) ist die Mobilisierung gespeicherter Energie, um die hinreichende Versorgung der Muskulatur sicherzustellen. Je mehr Energie du brauchst, desto mehr gespeichertes Glykogen, Fett und Protein wird mobilisiert und desto mehr Cortisol produziert.
Es sollte nun klar sein, dass ein höheres Volumen einen höheren Cortisolspiegel zur Folge hat, weil mehr Volumen einen größeren Energiebedarf nach sich zieht. Ein Naturaler muss härter und häufiger trainieren, weil er es sich nicht leisten kann, ein niedriges Niveau dieser Variablen durch eine Erhöhung des täglichen Workloads zu kompensieren.
4 – Wer muss sich in jedem Satz stärker pushen?
Antwort: Natural Athleten
Naturale Sportler müssen ihre Arbeitssätze härter gestalten, um das Maximum an Wachstum zu erzeugen. Das liegt daran, dass sie kein so hohes Volumen verwenden können. Wenn du nicht durch ein hohes Volumen zur Erschöpfung der Muskelfasern gelangst, dann musst du die maximale Stimulation auf andere Weise erreichen, und das geschieht über eine Intensivierung der Sätze.
Folgende Ordinalskala kann ganz hilfreich sein, um sich einen Überblick über die neurale Beanspruchung durch bestimmte Übungstypen zu verschaffen:
- Level 1 – Komplexe gymnastische Übungen, Variationen von Olympischen Lifts (Reißen, Stoßen etc.)
- Level 2 – Olympische Zugbewegungen, Mehrgelenksübungen, die den gesamten Körper beanspruchen und eine signifikante axiale beziehungsweise spinale Belastung erzeugen (Kreuzheben, Kniebeugen)
- Level 3 – Mehrgelenksübungen mit freien Gewichten, die den halben Körper beanspruchen, ohne signifikante Belastung der Spinalachse (zum Beispiel Bankdrücken)
- Level 4 – Mehrgelenksübungen am Kabel
- Level 5 – Mehrgelenksübungen an Maschinen
- Level 6 – Isolationsübungen mit freien Gewichten
- Level 7 – Isolationsübungen am Kabel oder an Maschinen
Wenn Übungen vom unteren Ende der Skala der neuralen Belastung genutzt werden (Level 4 bis 7), dann gehe bis zum Versagen und – durch Intensitätstechniken – darüber hinaus. Normalerweise empfiehlt es sich, bei Übungen der Stufe 4 und 5 bis zum Versagen zu gehen und bei Übungen der Stufe 6 und 7 mit Reduktionssätzen, Rest/Pause, Teilwiederholungen oder isometrischem Halten noch einen draufzusetzen.
Natürlich musst du die Satzzahl umso weiter reduzieren, je mehr du die Intensität der Sätze erhöhst. Wenn du Übungen durchführst, die auf den Stufen 2 und 3 der Skala angesiedelt sind, solltest du sie mit mehr Gewicht und niedrigen Wiederholungszahlen absolvieren und mit aller Kraft daraufhin arbeiten, mehr Last zu bewegen.
Wie ist es bei AAS-unterstützten Athleten? Zwar sollten sie auch hart trainieren, um progressiv einen Overload bei den großen Lifts zu erzielen, aber sie müssen einen etwas konservativeren Ansatz verfolgen und sich in einem etwas höheren Wiederholungsbereich bewegen (6 bis 8 Wiederholungen statt 3 bis 5 zum Beispiel), weil Steroide die Muskeln schneller als die Sehnen wachsen lassen.
Während unterstützte Athleten auch von niedrigeren Satzzahlen profitieren, brauchen Naturale mehr Intensität (bis zum Versagen und darüber hinaus, niedrige Wiederholungszahlen), Frequenz und Volumen, um ihre Wachstumsrate zu maximieren.
Hier geht es zum zweiten Teil!
Quelle: t-nation.com/pharma/natural-vs-enhanced-lifters