Hier geht’s zum ersten Teil!
Im ersten Teil zu „Warum Bodybuilder mehr Muskeln und weniger Kraft als Powerlifter haben“ sind wir bereits einleitend auf diverse Themenbereiche eingegangen und konnten dementsprechend die ersten Unterpunkte abarbeiten. Dabei ging es unter anderem um Genetik, die verschiedenen Hypertrophietypen und die unterschiedlichen Muskelfasern. Der zweite und letzte Teil widmet sich nun noch einmal sechs weiteren Gebieten, die den Unterschied zwischen Powerliftern und Bodybuilding aufzeigen sollen. Zudem gehen wir auf das sogenannte Powerbuilding ein, das eine Mischung der beiden Sportarten darstellt!
5 – Die Form der Ausführung
Viele Bodybuilder sagen seit Jahren, dass es beim Muskelaufbau nicht nur um Intensität und um die verwendete Arbeitslast geht, sondern auch um die Form der Ausführung.
EMG-Versuche haben gezeigt, dass ein im Bodybuilding-Stil durchgeführtes Bankdrücken (mittelweiter Griff, Ellenbogen nach außen, die Hantel auf den mittleren Brustbereich hinabgesenkt) mit 100 Kilo mehr Fasern im Pectoralis aktiviert als das Drücken im Powerlifting-Stil (weiter Griff, Ellenbogen zum Körper hin angewinkelt, die Hantel auf den unteren Brustbereich hinabgesenkt).
Oft erzeugen Maximalversuche beim Beugen oder Heben eine geringere EMG-Aktivierung als submaximale Versuche. Dies liegt daran, dass der Körper sich bei der Belastung durch extrem schwere Gewichte instinktiv zu krümmen geneigt ist. Die gekrümmte Haltung bedingt aber eine vermehrte Involvierung passiver Strukturen wie der Sehnen.
Nehmen wir zum Beispiel den Powerlifter, der beim Heben seinen oberen Rücken stark rundet, um sich an seiner Sehnenstruktur „hängenzulassen“. Dieser Vorgang erhöht die Beteiligung passiver Stabilisationsstrukturen und vermindert dementsprechend den Grad aktiver Muskelarbeit.
Bodybuilder wiederum führen die Bewegung meist sehr kontrolliert und mit eher langsamem Tempo durch, während Powerlifter sich meist eine gewisse Formverschlechterung bei Gewichten nahe und im Maximalbereich gestatten. Außerdem vermeiden viele Bodybuilder den Lockout, um die Spannung konstant auf dem Zielmuskel zu halten. Beim Kreuzheben etwa wird aus diesem Grund das Gewicht auch meist kontrolliert wieder herabgelassen und oftmals auch die Hantel nicht wirklich auf dem Boden abgesetzt („Touch and Go“), wohingegen Powerlifter die Hantel auch gerne einmal fallen lassen und dann wieder in den Lock, sprich in die Ausgangsposition für die nächste Wiederholung gehen.
Wenn zum Beispiel ein Bodybuilder Schrägbankdrücken mit Kurzhanteln ausführt, dann geht er etwa fünf Sechstel des Weges hoch, um dann die Gegenbewegung einzuleiten. Bei Fliegenden auf dem Pec Deck wird der Bodybuilder vielleicht nur zwei Drittel des Weges gehen, bevor in die exzentrische Phase übergeleitet wird. Auf diese Weise wird die Spannung im Pectoralis aufrechterhalten und ein besserer Pump erzielt.
6 – Die Geist-Muskel-Verbindung
Bodybuilder predigen häufig, dass man die Muskelarbeit spüren müsse. Die Forschung hat gezeigt, dass ein Aktivierungstraining die relative EMG-Aktivität während einer Übung steigern kann.
Zum Beispiel kann ein zwei Monate lang auf den Gluteus fokussiertes Aktivierungstraining den Körper des Athleten darauf konditionieren, den Muskel während einer Verbundübung wie den Kniebeugen oder Ausfallschritten besser anzusteuern und die Aktivierung von synergistisch assistierenden Muskeln wie dem Beinbizeps zu verringern.
Ein Bodybuilder zielt auf einen bestimmten Muskel und manipuliert seine Form, um die Spannung auf diesem Muskel zu maximieren.
Powerlifter dagegen konzentrieren sich auf eine Verbesserung ihrer Fähigkeit zur Bewältigung der größtmöglichen Last. Aus diesem Grund versuchen sie, gleichzeitig soviel Muskulatur wie möglich zu aktivieren, um maximale Kraft entwickeln und den Lift bewältigen zu können.
Beim Bankdrücken etwa versucht ein Powerlifter, möglichst viel Kraft aus den Beinen zu holen, die Lats, Deltas und den Trizeps synergistisch arbeiten zu lassen, um das schwerstmögliche Gewicht zu stemmen. Das Bankdrücken wird so fast zu einer Ganzkörperübung. Ein Powerlifter ist immer darauf fixiert, die Mechanik optimal auszunutzen, während der Bodybuilder eher auf die auf muskuläre Aktivierung achtet.
Die Powerlifting-Methode ist also großartig, wenn es um Ganzkörperstimulation geht, die Bodybuilding-Methode hingegen verursacht durch punktuelle Fokussierung mehr muskuläre Traumata und größeren Pump bei gleichzeitiger Verminderung der zentralnervösen Belastung zu erzeugen.
7 – Instinktives Training und Biofeedback
Bodybuilder trainieren meist mit einer Vielzahl an Übungen und gehen häufiger ohne vorgefertigtes Trainingsschema ins Studio.
Viele haben eine ganz allgemeine Idee, wie sie ihr Workout gestalten werden und was sie erreichen wollen, aber typischerweise lassen sie immer Raum für spontane Improvisation, die sich am Biofeedback, das heißt an den stimulierten Reaktionen ihres Körpers orientieren. Diese Varianz und Spontanität ermöglicht wenigstens theoretisch insofern mehr Wachstum, als dass das Verletzungsrisiko sinkt.
Ein Athlet, der jahrein, jahraus ins Gym geht und produktive, schmerzfreie Einheiten absolviert, wird mehr Magermasse aufbauen als ein Athlet, der stets ausgelaugt und unter Schmerzen trainiert.
Weil absolute Maximalkraftsteigerung den wesentlichen Zweck im Powerlifting darstellt, gibt es bei Powerliftern eher eine Tendenz, bestimmte Schmerzsignale des Körpers, die eine Reduktion der Intensität nahelegen würden, zu ignorieren. Wenn sich beispielsweise an einem Hebetag der untere Rücken stark übersäuert anfühlt, dann wird das einen Powerlifter in der Regel nicht davon abhalten, seinen Plan durchzuziehen, während der Bodybuilder vermutlich eher einen Bogen um die Übung machen wird.
Der Bodybuilder denkt nicht wie der Powerlifter in Kategorien einer Kraftleistungsmaximierung in einer spezifischen Übung, sondern entlang des Leitfadens einer Maximierung der Muskelarbeit. Wenn er also von seinem Körper negatives Feedback auf einen mit einer bestimmten Übung verbundenen Reiz erhält, kann er es sich leisten, diese Übung einfach ausfallen zu lassen und den Zielmuskel auf eine andere Weise zu attackieren, die keine körperlichen Warnsignale auslöst.
Klar, wir verallgemeinern hier immer auch ein wenig. Powerlifter verfahren nicht immer stur nach Plan und lassen ebenfalls Raum für kurzfristige Modifikationen, sodass im Zweifelsfall eine schwere Einheit auch mal zu einem leichteren Schnellkrafttraining werden kann, wenn schon beim Aufwärmen gewisse Überlastungssymptome bemerkt werden.
Bodybuilder trainieren andererseits auch nicht völlig „frei Schnauze“, sondern versuchen meist bestimmte Übungen möglichst immer in ihr Training einzuschließen. Es gibt etliche Abstufungen zwischen den Extremen, aber grundsätzlich ist für einen Bodybuilder im klassischen Sinne die Kraftleistung lediglich Mittel zum Zweck des Muskelaufbaus, während es sich bei Powerliftern genau umgekehrt verhält. Es steht eine auf Muskelarbeit fokussierte und mit weniger strengen Regeln zur Festlegung des mechanischen Widerstands auskommende Methode einerseits einer übungszentrierten, beim Arbeitsgewicht mit detailliierten Progressionsverläufen arbeitenden Methode andererseits gegenüber.
8 – Intensitätstechniken
Gelegentlich wenden Bodybuilder Intensitätstechniken an, um bei einem Satz zum Limit zu gelangen. Dazu gehören das Muskelversagen, negative Weiderholungen, Reduktionssätze, Rest-Pause, Supersätze etc.
Wenn solche Techniken sparsam angewandt werden, können sie zusätzliche hypertrophie-stimulierende Signale induzieren, die theoretisch nach und nach zu mehr Muskelwachstum führen. Allerdings sollten diese Techniken sinnvoll periodisiert werden, um eine Überlastung oder gar ein Übertraining zu vermeiden.
9 – Kürzere Pausenzeiten zwischen den Sätzen
Bodybuilder machen generell eher kurze Pausen zwischen den Sätzen – vielleicht eine Minute im Schnitt bei Isolations- und zwei bis drei Minuten bei Grundübungen. Powerlifter dagegen pausieren bei den großen Lifts oft für fünf Minuten und länger, um ihre schweren Sätze zu meistern. Kürzere Pausenintervalle werden mit einer gesteigerten anabolen Hormonreaktion assoziiert, vor allem mit einer Produktion von Testosteron und Wachstumshormonen.
Obwohl es nicht eindeutig erwiesen ist, ob die durch Widerstandsübungen akut, das heißt unmittelbar ausgelösten Hormoneffekte, zu mehr Hypertrophie beitragen oder nicht, haben doch einige Studien gezeigt, dass es eine signifikante Korrelation mit der Wachstumsrate sowohl der Typ I- wie auch der Typ II-Fasern gibt.
Zumindest lässt sich festhalten, dass kürzere Pausenzeiten eine Trainingseinheit „dichter“ machen, mehr Pump hervorrufen und das Hormonmilieu erhöhen. Das verbesserte anabole Milieu sollte bessere Umweltvoraussetzungen für eine gesteigerte Proteinsynthese und möglicherweise auch für Satellitenzellenaktivitäten schaffen. Die Forschung ist diesbezüglich aber nicht zu eindeutigen Resultaten gelangt.
10 – Splittraining
Bodybuilder tendieren eher dazu, ihre Trainingseinheiten um eine oder zwei bestimmte Muskelgruppen herum aufzubauen und den Zielmuskel oder die Zielmuskeln mit mehreren Sätzen mehrerer verschiedener Übungen anzugreifen. Dann wird in der Regel eine mehrtägige oder auch einwöchige Pause eingelegt, bevor die Muskelgruppe wieder trainiert wird.
Die Forschung hat gezeigt, dass es bis zu sieben Tage dauert, bis ein Muskel nach einer solch hochvolumigen Performance vollständig erholt hat. Es gibt Evidenzen, dass eine zu häufige Belastung in einer verminderten Hypertrophie resultieren kann. Diese Evidenzen sind aber mit Vorsicht zu genießen, denn es hängt auch wesentlich von der Bestimmung der beiden anderen zentralen Variablen – Volumen und Intensität – ab, inwieweit eine hohe Frequenz in Bezug auf Hypertrophie zu – oder abträglich ist.
Dass der wissenschaftliche Befund einer negativen Korrelation von Reizfrequenz und Muskelwachstum nicht hinreichend durch empirische Daten gestützt ist, zeigt sich außerdem auch daran, dass er häufig durch praktische Erfahrungswerte widerlegt wird. Nicht nur gibt es Bodybuildingsysteme wie HST, die explizit auf mehrmalige Stimulierung eines Muskels pro Woche bei entsprechend geringerem Gesamtvolumen pro Einheit setzen und Athleten, die erfolgreich danach trainieren. Es gibt darüber hinaus auch viele Bodybuilder, die ihre herkömmliche Routine mit wöchentlich einmaliger Stimulierung pro Muskel dann zugunsten einer höheren Frequenz ändern, wenn sie in einem bestimmten Bereich Defizite beseitigen und einen Muskel zum Wachsen zwingen wollen, indem sie ihn zwei- bis dreimal pro Woche attackieren.
Powerbuilding
Können wir simultan Powerlifting und Bodybuilding praktizieren und dadurch eine Win/Win-Situation schaffen? Mit anderen Worten: können wir sowohl Kraft als auch Muskelmasse gleichzeitig maximieren?
Die Antwort: es geht, aber man wird sich damit arrangieren müssen, dass man so jeweils in den beiden Bereichen Kraft und Muskelmasse nicht auf schnellstem Wege das jeweilige Optimum erzielt, wenn man nicht darauf achtet, hypertrophie- und kraftspezifisches Training in sequenziellen Zyklen zu periodisieren (Ein 10-Wochenprogramm für Kraft und Masse). Wenn man durchdacht an die Sache herangeht, dann ergänzen sich Kraft- und Massetraining vielmehr in synergistischer Weise!
Es ist auch eine Frage der Prioritätengewichtung. Wenn es dir wichtig ist, eine muskulöse Ästhetik zu erreichen und dennoch stark zu werden und funktionelle Kraft aufzubauen, dann ist der Mittelweg des manchmal auch gerne als Powerbuilding bezeichneten Trainings durchaus eine ratsame Lösung. Man gelangt so auch durchaus zu wettkampffähigen Resultaten in beiden Sportarten!
Das beweisen zum einen Athleten wie die legendäre Ikone Johnnie Jackson, der auch als Powerlifter respektable Erfolge erzielte und gerade für seine Beinentwicklung dennoch ein bodybuildingtypisches Beintraining integrierte; zum anderen auch einige Powerlifter wie zum Beispiel Konstantin Konstantinovs. Auch gibt es immer mehr Powerlifting-Schulen wie die Juggernaut-Schule, die neben den für das Powerlifting typischen Fokussierung des Trainings auf die Wettkampfdisziplinen und der Maxkraftsteigerung Nebenübungen im hohen Wiederholungsbereich einbauen und großen Wert auf muskuläre Hypertrophie (auch als Mittel zur Kraftsteigerung) legen.
Es lässt sich darüber hinaus auch theoretisch aus den Erkenntnissen der Sportwissenschaft herleiten, dass Kraft- und Massetraining einander gut ergänzen. So ist schon in den obigen Ausführungen zum Thema myofibrilläre Hypertrophie gesagt worden, dass ein Wachstum der langsam zuckenden Typ I-Fasern einen Kraftanstieg mit sich bringt, wenn dieser sich auch primär im submaximalen Bereich bemerkbar macht und nur bedingt auf den Maximalkraftbereich übertragbar ist.
Ebenso ist zu berücksichtigen, was wir oben nur im Vorbeigehen erwähnt haben, nämlich, dass auch die schnell zuckenden Typ II-Fasern, die vor allem im niedrigen Wiederholungsbereich von 1 bis 3 aktiviert werden und also im Maximalkraftbereich ihre Wirkung entfalten, ein bedeutendes, ja sogar größeres Hypertrophiepotenzial besitzen. Wer dieses Potenzial brachliegen lässt, beraubt sich großartiger Möglichkeiten zum Muskelaufbau.
Quelle: t-nation.com/training/why-bodybuilders-are-more-jacked-than-powerlifters