Es gibt ein zeitgenössisches Sprichwort, das unsere gegenwärtige Situation gut zusammenfasst und wie folgt lautet: „Wir schwimmen in einem Meer an Informationen, aber ertrinken zugleich in Dummheit.“ Was ist das zentrale Problem, das wir mit diesem treffenden Sprichwort thematisieren wollen? Viele Menschen wissen eine Menge Fakten, können sie aber nicht in den richtigen Kontext einordnen, um daraus theoretisch kohärente Urteile und Aussagenzusammenhänge formen und diese dann wiederum auf die Praxis anwenden zu können.
Dieses Phänomen begegnet uns in exzessivem Maße im Feld des mechanischen Widerstandstrainings. Kommentarspalten sind gefüllt mit hitzigen Debatten über Dinge, die eigentlich keine große Sachrelevanz besitzen, wenn man sie im Lichte der wenigen allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der für Hypertrophie und Kraftsteigerung adäquaten Trainings- und Ernährungsmethoden betrachtet. Oder es handelt sich um Streitpunkte, die sich schlechterdings nicht gut quantifizieren und daher auch nicht objektiv entscheiden lassen.
Im Folgenden stellen wir einige triviale Gemeinplätze der hasserfüllten Auseinandersetzung unter „Experten“ vor und erläutern, weshalb der polemische Streit darüber meist unnötig ist.
#1 – Die „beste“ Übung
Einfache Antwort: Es gibt keine. Natürlich gibt es einige Übungen, mit denen jedes Individuum bestimmte Muskelpartien gut aufbauen kann. Aber hierbei gelten wenigstens zwei Einschränkungen: Was das Beste ist, hängt zum einen stark von den individuellen Voraussetzungen des Athleten ab. Zum anderen ändern sich diese Voraussetzungen jedoch auch noch beständig im Laufe der Trainingskarriere, sofern diese denn erfolgreich verläuft und nicht durch Entwicklungsstillstand gekennzeichnet ist. Das heißt, dass jene Übung, die dich vor zwei Jahren am besten beim Aufbau von Rückenkraft und -masse vorangebracht hat, heute nicht mehr zwangsläufig die ideale für deinen weiteren Erfolg sein muss.
Im Grunde reagiert dein Körper auf diejenigen Stimuli, die du durch dein Training besonders oft auf ihn ausübst, am wenigsten, insofern er sich an sie am besten angepasst hat. Zwar sollte man nicht ständig sämtliche Übungen auswechseln, aber dauerhaft in sturer Weise an denselben Bewegungsmustern festzuhalten, obwohl man kaum mehr Fortschritte verzeichnen kann, ist ebenfalls keine kluge Idee.
Wenn du andererseits beispielsweise wegen individueller anatomischer Prädispositionen eine ungünstige Vorwärtsneigung beim Kniebeugen aufweist, kann es sein, dass sie dich beim Ziel, die Quads aufzubauen, nicht wirklich weiterbringen, auch wenn sie insgesamt eine der besten Übungen zur Ausbildung funktioneller Kraft ist und viele Muskeln zugleich rekrutiert. Aber es ist eben durchaus möglich, dass du für den Quad-Aufbau eher auf Hack Squats oder die Beinpresse angewiesen bist.
Kurz und knapp: Dein Fortschritt hängt nicht von „magischen“ Übungen ab, weil es keine gibt. Die Wahl der Übungen hängt viel eher von deinen Zielsetzungen (Hypertrophie oder Kraftsteigerung in bestimmten Disziplinen), von deinen körperlichen Voraussetzungen und deinem jeweils vorherrschenden Trainingsstand bzw. deiner Trainingshistorie ab.
#2 – Cardio und Hypertrophie
Sicher, Ausdauertraining kann sich negativ auf den Kraft- und Muskelaufbau auswirken, aber in manchen Fällen kann es auch von Vorteil sein. Eine bessere Kondition erlaubt es dir, ohne Schwierigkeiten ein höheres Gesamtvolumen zu absolvieren.
Cardio wird nur dann zum Problem, wenn es exzessiv betrieben wird. Wenn du also Cardiotraining gerne machst und es deinen Fortschritten im Krafttraining keinen Abbruch tut, spricht überhaupt nichts dagegen. Wenn aber Muskelaufbau für dich ein wichtiges Ziel ist und du allem Anschein nach nicht unbedingt die optimalen genetischen Anlage für Muskel- und Kraftaufbau mitbringst, dann solltest du dich beim Ausdauertraining stark einschränken. Jedenfalls erst einmal so lange, bist du ein gutes Leistungsniveau erreicht hast.
Wo wir gerade dabei sind, wollen wir hier noch einmal ein paar zusätzliche Gedanken zum Thema Cardiotraining erläutern:
- Cardio ist nicht notwendig für eine gute Herzgesundheit. Das gilt vor allem dann, wenn man allgemein körperlich sehr aktiv ist. Sicherlich kann es Vorteile für deine kardiovaskuläre Gesundheit bringen, aber viele Menschen leben lang, gesund und glücklich, ohne jemals Cardio betrieben zu haben.
- Krafttraining selbst weist einige kardiovaskuläre Vorzüge auf, insbesondere das Training mit hohen Wiederholungszahlen und kurzen Pausen zwischen den Sätzen.
- Die Leute neigen zu einer Überbewertung von kontinuierlich bei mittlerer Intensität durchgeführtem Cardio (MISS: Medium Intensity Steady State) und zu einer Unterbewertung von in Intervallen durchgeführten Sprints oder HIIT (High Intensity Interval Training) sowie einem kontinuierlich bei niedriger Intensität durchgeführten Cardio, auch LISS (Low Intensity Steady State) abgekürzt. Einfach gesagt: Sprints und lange Spaziergänge sind großartig, aber der Kompromiss von beidem (Joggen als mittelintensives, stetig durchgeführtes Cardio) ist die Variante, mit der du dich am wenigsten aufhalten solltest.
#3 – Maschinen und Isolationsübungen
Mehrgelenk- oder Grundübungen, die mit freien Gewichten durchgeführt werden, sind für die meisten Athleten die effektivste Form des Trainings, aber Maschinen und Isos haben definitiv auch ihren Platz. Lege demnach den Akzent auf frei ausgeführte Grundübungen, aber fühle dich nicht durch den heutigen, vom Thema „funktionelles Training“ beherrschten Diskurs dazu gezwungen, alle Isos und Maschinenübungen aus deinem Plan zu verbannen. Denn wie wir oben schon festhielten, benötigen einige Athleten zur gezielten Reizung eines Muskels manchmal Isolationsübungen oder Maschinen. Lass dich nicht durch manch allzu selbstgerecht auftretenden Ideologen des funktionellen Trainings beirren: Niemand hat gesagt, dass frei ausgeführte Grundübungen und Isos einander ausschließende Trainingsoptionen sind!
#4 – Die „perfekte“ Trainingsfrequenz
Drei- bis viermaliges Training die Woche und zwei- bis dreimalige Stimulierung eines jeden Muskels funktioniert für die große Mehrheit der Athleten am besten. Wenn akute Zeit- und Energieknappheit herrscht, leistet ein zweimaliges Training pro Woche aber fast denselben Dienst. Kannst du es dir erlauben, quasi im Gym zu wohnen und sonst nichts anderes zu machen, bzw. bist vollkommen flexibel, dann ist ein fünf- bis sechsmaliges Training pro Woche noch etwas besser als ein drei- bis viermaliges.
Die Trainingsfrequenz ist letztlich ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck! Genau eine solche sich in der Diskussion und hinter dem Rücken der Diskutanten vollziehende Verwandlung des diskutierten Themas von einem kontextabhängigen Mittel zu einem isolierten Selbstzweck ist aber typisch für all diese aufgeblähten Debatten.
Mit Blick auf die Frequenz kann man festhalten, dass sie dazu dient, ein bestimmtes wöchentliches Trainingsvolumen zu erreichen, um Hypertrophie und Kraftsteigerungen auszulösen. Auf wie viele Tage dieses wöchentliche Volumen letztlich aufgeteilt wird, spielt nur eine sekundäre Rolle. Zwar hat man umso mehr Regenerationsvorteile und möglicherweise auch Vorteile bezüglich eines durch häufiges Training besser aufrechterhaltenen anabolen Milieus, je mehr Tage man für die Absolvierung des Volumens einplanen kann, aber solange man sich zwischen zwei und vier Mal die Woche ins Studio begibt und jeden Muskel (in Abhängigkeit von dessen Größe) zwei bis vier Mal die Woche stimuliert, ist man auf der sicheren Seite.
#5 – Die magische Zahl an Sätzen pro Übung und Workout
Dr. Mike Isratel hat den Begriff des „Maximal Recoverable Volume“ (MRV) geprägt. Damit ist das Arbeitsvolumen (gemessen an der Anzahl der Arbeitssätze) gemeint, das man maximal absolvieren kann, ohne dass die Erschöpfung die Regenerations- und Anpassungskapazitäten des Körpers überwiegt. Diese Kennzahl nennt demzufolge die maximale Reizquantität, die ausgeübt werden kann, ohne dass Muskeln ab- statt aufgebaut werden. Das MRV variiert von Individuum zu Individuum und von Muskel zu Muskel. Außerdem variiert es auch in Abhängigkeit von der Trainingserfahrung bzw. dem Entwicklungsstand des Athleten und anderen Faktoren.
So wichtig es nun auch ist, dein individuelles MRV zu kennen, so wichtig ist auch die Einsicht, dass man nicht ständig am MRV, d.h. am Maximum dessen trainieren kann, was der Körper gerade noch tolerieren kann, ohne auszubrennen.
Stattdessen ließe sich ein Plan, der das MRV berücksichtigt, beispielhaft für einen vierwöchigen Mesozyklus folgendermaßen umsetzen: Trainiere für eine Woche das MEV (Minimal Effective Volume), d.h. das für die Auslösung eines Muskelwachstums notwendige Minimalvolumen. In Woche 2 schraubst du dann die Intensität auf das Niveau deines MAV oder Maximum Effective Volume hoch. Das MAV bezeichnet den Workload, mit dem du deine besten Gains machst. In Woche 3 gehst du schließlich auf dein MRV und machst dann zum Abschluss in Woche 4 dann einen Deload zur Regeneration.
Wenn wir das Ganze mal in einem übersichtlichen Schema zusammenfassen wollten, sähe das so aus:
- Woche 1: 3 bis 4 Sätze pro Muskel und Einheit (MEV-Mikrozyklus)
- Woche 2: 4 bis 5 Sätze pro Muskel und Einheit (MAV-Mikrozyklus)
- Woche 3: 5 bis 6 Sätze pro Muskel und Einheit (MRV-Mikrozyklus)
- Woche 4: Deload.
Behalte die schweren Gewichte bei, aber reduziere das Volumen auf die Hälfte der Sätze, die du in Woche 3 während des MRV-Mikrozyklus‘ absolviert hast.
Auch bei diesem Thema kann man letztlich nur festhalten, dass es nicht die eine Wahrheit gibt. Zwar ist ein möglichst hohes, wöchentliches Satzvolumen durchaus wichtig, aber wie viel Volumen dann tatsächlich von einem Individuum in Abhängigkeit von seinem Konditionierungsstand, seiner Genetik und seinem Alter bewältigt werden kann, ohne sich mehr Nachteile als Vorteile einzuhandeln, lässt sich nicht pauschal bestimmen.
#6 – Der „beste“ Split
Obwohl gerade von Tastaturhelden endlos über die relativen Vorzüge von „Bro Splits“, Ober- und Unterkörpersplits und Ganzkörperplänen gefachsimpelt wird, sind doch die Unterschiede der diversen Strategien zur Gestaltung deiner Trainingswoche nichts, worüber man schlaflose Nächste verlieren sollte.
Such‘ dir einfach das aus, was am besten mit deinen persönlichen Neigungen, deinem Berufsalltag, deinen sonstigen Freizeitplänen und deinem körperlichen Empfinden zusammenpasst und leg‘ los. Einige Monate später kannst du vielleicht noch einmal eine andere Strategie ausprobieren.
Auf dieselbe Weise, wie du die Trainingsfrequenz als Mittel zur Regulierung deines wöchentlichen Trainingsvolumens betrachten solltest, musst du auch die Wahl deines Splits mit Blick auf dessen Tauglichkeit zur Optimierung deiner Trainingsfrequenz betrachten.
#7 – Die „richtige“ Anzahl an Wiederholungen
Wenn Kraft dein primäres Trainingsziel ist, solltest du die meiste Zeit im Spektrum von fünf Wiederholungen und weniger trainieren. Denn vorzüglich in diesem Bereich werden die schnell zuckenden, weißen Muskelfasern rekrutiert, die zur Bewältigung sehr schwerer Lasten benötigt werden.
Wenn es dir hingegen mehr um eine Verbesserung deiner Körperzusammensetzung zugunsten eines höheren Muskelmasseanteils und eines geringeren Fettanteils geht, spielt die Wiederholungszahl nur eine untergeordnete Rolle. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Hypertrophie am stärksten mit der Anzahl an subjektiv als besonders hart und erschöpfend empfundenen Sätzen assoziiert ist, während die Wiederholungszahl nicht so wichtig ist. Der Grund, weshalb die meisten Athleten, deren Fokus auf dem Muskelmasseaufbau liegt, im Bereich zwischen acht und 15 Reps trainieren, ist einfach der, dass bei schweren und sehr schweren Gewichten im Spektrum von fünf und weniger Reps häufiger orthopädische Komplikationen (d.h. Gelenk- und Sehnenschmerzen sowie erhöhter Knorpelverschleiß) auftreten. Andererseits wird der Wiederholungsbereich von mehr als 15 Wiederholungen meist einfach nicht so sehr gemocht. Konzentriere dich dementsprechend auf die Anzahl harter Sätze, die du insgesamt pro Woche durchziehst, und halte dich dabei in einem Wiederholungsbereich deiner Wahl auf.
Quelle: t-nation.com/training/7-dumb-things-lifters-argue-about