Hypertrophie ist der Begriff für die Steigerung des Muskelvolumens oder -masse. Da es nur wenige Beweise dafür gibt, dass sich die Muskeln eines ausgewachsenen Menschen aufgrund einer Steigerung der Anzahl von Muskelfasern (Hyperplasie) vergrößern, gilt die Volumenzunahme der einzelnen Fasern an sich als der Hauptweg auf dem der Muskelaufbau stattfindet. Was stimuliert also die Muskelfasern dazu, sich zu vergrößern?
Wir wissen, dass Muskelfasern zum Größenwachstum angeregt werden, nachdem sie einem bestimmten Grad an mechanischer Last ausgesetzt werden. Dieser Stimulus wird durch Mechanorezeptoren wahrgenommen, die in der Nähe der Membran jeder einzelnen Muskelzelle lokalisiert sind. Viele Langzeitstudien, die die hypertrophen Effekte von Krafttraining erforschten, produzierten jedoch Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass mechanische Last nicht der einzige Faktor sein könnte, der zum Muskelaufbau führt. Diese Beobachtung ließ Forscher nach anderen Mechanismen, wie metabolischem Stress oder Muskelschäden suchen, die die Hypertrophie stimulieren könnten.
Doch sind solche Hypothesen wirklich notwendig? Können wir stattdessen auf grundlegende Muskelphysiologie verweisen, die identifiziert, wie verschiedene Trainingsmethoden den Grad und die Art der mechanischen Last beeinflussen, die von einzelnen Muskelfasern wahrgenommen werden?
Grundlegende Physiologie des Muskels
Es gibt verschiedene wichtige Merkmale und Beziehungen in der Muskelphysiologie, die den Grad der Mechanischen Last beeinflussen, die von den Muskelfasern während einer Muskelkontraktion wahrgenommen werden:
- Das Größenprinzip
- Die Kraft-Geschwindigkeits Beziehung
- Die Längen-Spannungs Beziehung
- Erschöpfung
Jedes dieser Phänomene beeinflusst die Menge und Art von Kraft, die eine Muskelfaser bei einer muskulären Kontraktion aufbringt. Diese Kraft muss gleich und entgegengesetzt der mechanischen Last sein, der sie ausgesetzt ist und wir wissen, dass sie ein Hauptstimulus der stattfindenden Hypertrophie ist.
Das Größenprinzip
Das Größenprinzip beschreibt die Beobachtung, dass motorische Einheiten, die die übergeordneten Strukturen der Muskelfasern darstellen, durch das zentrale Nervensystem in einer bestimmten Reihenfolge rekrutiert werden, um den Anforderungen einer fordernden Aufgabe gerecht zu werden.
Motorische Einheiten steuern verschiedene Anzahlen von Muskelfasern nach ihrer Größe und verschiedene motorische Einheiten verwalten Muskelfasern mit unterschiedlichen Eigenschaften. Die motorischen Einheiten, die zuerst in der Reihenfolge rekrutiert werden, steuern eine sehr kleine Anzahl (Dutzende) von Muskelfasern, die sehr oxidativ sind, wohingegen die zuletzt eingeschalteten motorischen Einheiten eine sehr große Zahl (viele Tausende) Muskelfasern regulieren, die weniger oxidativ arbeiten.
Motorische Einheiten werden bei spezifischen Schwellenwerten der wirkenden Last aktiviert. Der Rekrutierungsschwellenwert einer motorischen Einheit ist der Grad der Kraft, die ein Muskel während jeglicher muskulären Kontaktion produziert, bei der die Muskelfasern dieser motorischen Einheit zuerst aktiviert werden. Die Rekrutierung motorischer Einheiten kann je nach Kontraktionsart (exzentrisch, isometrisch, konzentrisch) variieren und sich im Zuge der Erschöpfung ändern. Allerdings werden die motorischen Einheiten immer in derselben Reihenfolge der Größe nach rekrutiert, unabhängig der Kontraktionsart oder anderen Faktoren. Einheiten mit niedrigem Schwellenwert bleiben ebenfalls immer angeschaltet, wenn auch Einheiten mit höherem Schwellenwert zugeschaltet sind.
Resultierend daraus werden motorische Einheiten mit niedrigerem Schwellenwert, die kleinere Zahlen von Muskelfasern steuern, unter ermüdungsfreien Bedingungen immer dann rekrutiert, wenn Muskelkontraktionen geringe Lasten zu bewältigen haben. Einheiten mit höherem Schwellenwert, die viele Muskelfasern unter sich haben, werden zusätzlich zu den bereits aktivierten motorischen Einheiten mit niedrigem Schwellenwert aktiviert um die Kontraktion mit steigendem Widerstand durchführen zu können. Das bedeutet, dass nur die Muskelfasern, die von Einheiten mit niedriger Rekrutierungsschwelle jede mechanische Last wahrnehmen können, wohingegen die Fasern, die bei höheren Schwellenwerten hinzugeschaltet werden, nur eine mechanische Last wahrnehmen, wenn der Widerstand und die zu bewältigende Last hoch sind.
Die Muskelfasern, die von motorischen Einheiten mit niedriger Reizschwelle gesteuert werden (Typ I Fasern) arbeiten weit weniger oxidativ als Muskelfasern, die bei höheren Lasten hinzugeschaltet werden (Typ II Fasern) und gleichzeitig empfänglicher für mechanische Stimuli sind, die zur Hypertrophie führen. Diese höhere Empfänglichkeit kommt wahrscheinlich durch die inverse Beziehung zwischen der oxidativen Kapazität und Querschnittsfläche einer einzelnen Muskelfaser, die es für die stark oxidativen Typ I Muskelfasern, die bei geringen Lasten eingeschaltet werden, kaum möglich macht ihr Volumen zu vergrößern, ohne dabei ihre Funktion zu verlieren.
Die exponentiell größere Zahl von Muskelfasern, die durch motorischen Einheiten mit höherer Reizschwelle betätigt werden und empfänglicher für die Hypertrophie sind, können viel stärker wachsen als die Muskelfasern, die schon bei geringen Lasten arbeiten. Das erklärt auch, weshalb wiederholte, nicht-ermüdende Kontraktionen bei geringem Widerstand (z.B. bei aeroben Training) zu keiner Hypertrophie führen, wohingegen wiederholte Kontraktionen bei hohen Widerständen (z.B. Krafttraining) zum Muskelaufbau führt.
Die Kraft-Geschwindigkeits Beziehung
Die Beziehung zwischen Kraft und Geschwindigkeit ist die Beobachtung, dass Muskelfasern mehr Kraft produzieren, wenn sie in der Lage sind sich langsam statt schnell zu verkürzen. Grund dafür ist, dass langsame Kontraktionsgeschwindigkeiten eine höhere Zahl an Querbrücken zwischen den Aktin- und Myosinfilamenten zur gleichen Zeit erlauben. Langsamere Kontraktionsgeschwindigkeiten erlauben es den Querbrücken länger bestehen zu bleiben, nachdem sie sich einmal ausgebildet haben, was wir als langsamere Trennungsrate messen können.
Diese Querbrücken sind es, die Kraft innerhalb jeder Muskelzelle aufwenden. Wenn also mehr von ihnen zur gleichen Zeit ausgebildet sind, führt dies zu einer größeren Muskelfaserkraft und somit zu einem höheren Grad mechanischer Last, die am Ende das Muskelwachstum stimuliert. Langfristige Krafttrainingsstudien haben viele Umstände herausgefunden, in denen die Kraft-Geschwindigkeits Beziehung die Ergebnisse erklären kann, wohingegen das Größenprinzip allein es nicht kann.
Schwere Kniebeugen und Jump Squats mit geringem Gewicht beispielsweise involvieren beide in der Regel ein hohes, wenn nicht maximales Maß an Rekrutierung von motorischen Einheiten. Das bedeutet, dass alle Fasern des Muskels bei jedem Satz der Übung aktiviert sind, inklusive denjenigen, die von motorischen Einheiten mit hohen Reizschwellenwerten gesteuert werden und nur auf sehr hohe Lasten ansprechen. Dennoch führen lediglich die Krafttrainingsprogramme, die schwere Kniebeugen beinhalten zum Muskelwachstum. Erklärt werden kann dies durch die Kraft-Geschwindigkeits Beziehung: eine langsamere Verkürzungsgeschwindigkeit führt dazu, dass jede Muskelfaser mehr Kraft aufwenden muss, wovon die Muskelfasern, die bei hohen Schwellenwerten aktiviert werden, zum Wachstum angeregt werden.
Die Längen-Spannungs Beziehung
Die Längen-Spannungs Beziehung ist die Beobachtung, dass Muskelfasern in bestimmten Längen mehr Kraft produzieren als in anderen. Diese Beziehung ist ein Zusammenspiel aus zwei zugrundeliegenden, separaten Beziehungen. Der aktiven Längen-Spannungs Beziehung und der passiven Längen-Spannungs Beziehung.
Muskelfasern produzieren mehr Kraft, wenn sie aufgrund der passiven Längen-Spannungs Beziehung sehr weit ausgedehnt werden. Diese Beziehung wird vorgeschrieben durch die passiven elastischen Eigenschaften der strukturellen Elemente der Muskelfaser, wie das Zytoskelett der Zelle, große Moleküle wie Titin und die umgebende Kollagenschicht der Faser, genannt Endomysium.
Muskelfasern produzieren aufgrund der aktiven Längen-Spannungs Beziehung ebenfalls eine maximale Kraft, wenn sie bei der optimalen Länge kontrahiert werden. Diese Beziehung wird vorgeschrieben durch den Grad der Überlappung zwischen den Aktin- und Myosinfilamenten. Wenn die Muskelfaser erzwungen gedehnt wird, appliziert dies eine große mechanische Last auf seine passiven Elemente und deformiert sie in Längsrichtung. Das stimuliert Fasern zum Wachstum auf eine Weise, die der Anforderung sich zu verlängern entspricht. Wenn die Muskelfaser mit seinen aktiven Elementen eine große kontraktile Kraft produziert wird er aufgrund der großen Anzahl an Querbrücken zwischen Aktin und Myosin nach außen hin dicker, was ihn in Querrichtung deformiert. Das stimuliert die Fasern auf eine Weise zum Wachstum, die der Beanspruchung gerecht wird und den Durchmesser steigert.
Langfristige Krafttrainingsstudien haben viele Umstände herausgefunden, in denen die Längen-Spannungs Beziehung die Ergebnisse erklären kann. Beispielsweise führt ein Training mit vollem Bewegungsumfang (Range of Motion) zur Hypertrophie während es die Länge der Faszien zu einem höheren Grad steigert. Training mit partiellem Bewegungsumfang hingegen, führt vorrangig zur Steigerung des Durchmessers. Der volle Bewegungsumfang involviert die Dehnung der Muskelfasern in einem höheren Maße als der partielle Bewegungsradius. Ähnlich führen ausschließliches exzentrisches Training und ausschließliches konzentrisches Training zu ähnlichen Zuwächsen des Muskelvolumens, doch exzentrisches Training führt darüber hinaus noch zur Steigerung der Faszienlänge und konzentrisches Training hauptsächlich zur Steigerung der Querschnittsfläche. Exzentrische Kontraktionen fügen den passiven Elementen der Muskelfasern einen größeren Stress über den gesamten Bewegungsumfang der Übung zu.
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Ermüdung
Auch wenn die meisten Menschen denken, Ermüdung sei nur ein subjektives Empfinden, können wir sie tatsächlich unter objektiven Gesichtspunkten messen. Sie ist eine temporäre und reversible Reduktion unserer Kapazität, mit einem Muskel aufgrund vorheriger Übungsausführung, freiwillig eine Kraft zu erzeugen. Wir nehmen Ermüdung in einem Muskel wahr, wenn er in diesem Moment weniger Kraft produzieren kann, als er es vor Beginn des Trainings konnte. Dabei ist es zum größten Teil irrelevant, ob wir uns müde fühlen oder nicht.
Ermüdung in jedem Satz einer Krafttrainingsübung findet aufgrund von Mechanismen in sowohl dem zentralen Nervensystem (zentrale Ermüdung) und dem Muskel (periphere Ermüdung) statt. Jede Art von Ermüdung beeinflusst die Menge an mechanischer Last, die diese Muskelfasern entweder in Verbindung mit den Größenprinzip, der Kraft-Geschwindigkeits Beziehung oder der Längen-Spannungs Beziehung wahrnehmen.
Die mechanische Last, die von Muskelfasern wahrgenommen wird, scheint durch die periphere Ermüdung erhöht zu werden und führt dazu, dass auch Krafttraining mit niedrigeren Gewichten zu einer ähnlichen Hypertrophie führt, wie höhere Lasten.
- Das Größenprinzip – Periphere Ermüdung verändert den Schwellenwert der Rekrutierung (Kraft) der motorischen Einheiten, auch wenn sie nicht die Reihenfolge verändert, in der die Einheiten hinzugeschaltet werden. Wenn ein Muskel ermüdet ist, reduziert sich der Rekrutierungsschwellenwert. Motorische Einheiten mit höheren Schwellenwerten werden bei geringeren Lasten rekrutiert. Das bedeutet, dass wenn ein Muskel sehr erschöpft ist, kann er auch bei niedrigen Lasten einen sehr hohen Grad aktivierter Muskelfasern aufweisen. Ermüdung trägt somit durch die steigende Zahl von motorischen Einheiten, die bei jeder Kontraktion selbst mit submaximaler Belastung aktiviert werden, zur Hypertrophie bei.
- Die Kraft-Geschwindigkeits Beziehung – Periphere Ermüdung reduziert die Geschwindigkeit der Bewegung durch die Reduktion der Kontraktionsgeschwindigkeiten der Muskelfasern, sowie ihrer Fähigkeit Kraft zu produzieren. Während es schwer zu sagen ist, ob Ermüdung es erlaubt ermüdeten Muskelfasern ihre Kraft bei langsameren Geschwindigkeiten zu steigern, führt sie sicherlich dazu, dass nicht-ermüdete Muskelfasern jeder neu hinzugeschalteten motorischen Einheit mehr Kraft aufzuwenden und dadurch einen höheren Grad mechanischer Spannung aufgrund der Kraft-Spannungs Beziehung wahrzunehmen.
- Die Längen-Spannungs Beziehung – Periphere Ermüdung ändert den maximalen Grad, den sich Muskelfasern durch ihre Fähigkeit, zur aktiven Kraft beizutragen, während einer dehnenden Kontraktion verlängern können. Das führt zu einer höheren mechanischen Last, die auf passive Elemente der Muskelfasern im Gegensatz zu nicht ermüdeten Fasern wirkt, was eine größere Hypertrophie in Längsrichtung herbeiführen könnte.
Im Gegensatz dazu hat zentrale Ermüdung wahrscheinlich negative Effekte auf die mechanische Last, die durch Muskelfasern wahrgenommen wird, die motorischen Einheiten mit hoher Reizschwelle untergeordnet sind. Sie verhindert, die vollständige Rekrutierung von motorischen Einheiten.
Wenn zentrale Ermüdung besteht, können wir das Muskelversagen erreichen ohne die Muskelfasern zu stimulieren, die durch motorischen Einheiten mit hoher Reizschwelle gesteuert werden. Der Grad der zentralen Ermüdung, die am Ende eines Satzes besteht, hängt von verschiedenen Faktoren. Doch sie wird durch einen höheren Sauerstoffbedarf und hinführendes Feedback gesteuert. Das erklärt, warum Krafttraining mit kürzeren Pausenzeiten oder sehr geringen Gewichten weniger effektive Strategien für das Muskelwachstum sind und es erklärt weiterhin, warum Übungen, die später im Training erfolgen, zu weniger Hypertrophie führen als diejenigen, die an beginn des Trainings ausgeführt werden.
Was wir daraus lernen sollten
Hypertrophie ist das Ergebnis von individuellen Muskelfasern, die mechanische Lasten wahrnehmen und daraufhin an Volumen zunehmen. Die Größe und Art der mechanische Last, die durch die Muskelfasern wahrgenommen wird, wird bestimmt durch die grundlegende Physiologie des Muskels, darunter dem Größenprinzip, der Kraft-Geschwindigkeits Beziehung, der Längen-Spannungs Beziehung, sowie der Ermüdung. Durch die Verdeutlichung, wie die grundlegende Muskelphysiologie die mechanischen Lasten während verschiedenen Arten von Krafttraining beeinflusst, ist es möglich, die Ergebnisse der meisten langfristigen Trainingsstudien zu erklären.
Quelle: medium.com/@SandCResearch