In Zeiten von Kalorientrackern, Schlafsensoren und Co. versuchen immer mehr Menschen und auch Sportler, ihren Körper messbar zu machen, um ihn genauer steuern zu können. „Quantified Self“ nennt man diese Bewegung in der Szene auch. Die Messung der Variabilität der Abstände zwischen den Herzschlägen wurde daher in den letzten Jahren immer öfter als Indikator für Stress und Regeneration beworben. Einige Sportler, wie beispielsweise Joannes Luckas, nutzten dieses Analyseverfahren, um darauf ihr eigenes Training auszurichten. Die Frage ist jedoch, ob die noch recht neue Messung der Herzfrequenzvariabilität unser Krafttraining tatsächlich auf ein neues Level heben kann?
Was ist die Herzfrequenzvariabilität?
Bevor wir uns tiefer in die aktuelle Datenlage begeben, müssen wir zunächst klären, worüber wir hier eigentlich sprechen. Die Herzfrequenzvariabilität, auf Englisch auch als „Heart Rate Variability“ (HRV) bezeichnet, beschreibt die Vielfältigkeit oder Variabilität von Zeitabständen zwischen den einzelnen Herzschlägen. Eine umfassende Erläuterung über die Gründe, den Einsatz und die gesundheitlichen Zusammenhänge würde an dieser Stelle den Rahmen des Artikels sprengen. Allgemein wird eine geringere Variabilität jedoch als Zeichen für eine mangelhafte Regeneration angesehen, wohingegen eine größere Bandbreite als Zeichen einer guten Regeneration wahrgenommen wird.
Die Studie
In der vorliegenden Studie ließ man zehn trainierte Männer je sechs Sätze Kniebeugen, Bankdrücken und Latziehen mit 90 Prozent des Gewichtes ausführen, welches sie für maximal zehn Wiederholungen (10RM) absolvieren konnten [1]. Wenn wir annehmen, dass ein 10RM ungefähr 75 Prozent der Maximalkraft (1RM) entspricht, dann wurde ein Trainingsgewicht von circa 67,5 Prozent des 1RM verwendet. In jedem Satz wurde das Muskelversagen angestrebt, wodurch dieses Training eine hohe körperliche Belastung darstellen sollte.
Vor dem Training sowie direkt im Anschluss, nach 24 und 48 Stunden wurde die Regeneration mittels HRV und anderen Messgrößen analysiert. Darunter befanden sich die Kraft in einem vertikalen Sprung, die Geschwindigkeit der Wiederholungen beim Bankdrücken und Kniebeugen sowie die wahrgenommene Regeneration und der wahrgenommene Muskelkater. Die Wiederholungsgeschwindigkeit der beiden Übungen wurde dabei für jeden nach einem Meter pro Sekunde normalisiert, um einen Indikator für eine Reduktion oder Steigerung zu erhalten.
Die Ergebnisse
Wie zu erwarten, zeigten alle Regenerationsparameter direkt nach dem Training eine signifikante Erschöpfung an, darunter auch die HRV. Nach weiteren 24 Stunden war die Variabilität der Herzfrequenz zwar auf ihr Ausgangsniveau zurückgekehrt, doch alle weiteren Faktoren blieben erhöht. Nach 48 Stunden kehrten auch die weiteren objektiven Messgrößen auf den Wert vor dem Training zurück. Lediglich die subjektiv wahrgenommene Regeneration und der Muskelkater blieben statistisch signifikant erhöht. Weiterhin bestand zu keinem Zeitpunkt eine signifikante Korrelation zwischen der Veränderung der HRV und den weiteren Regenerationsparametern.
Interpretation der Daten
Oberflächlich betrachtet sagen uns diese Ergebnisse erstmal nicht viel mehr, als dass die untersuchten Regenerationsparameter nicht den gleichen Zeitverlauf nehmen. Die Frage, die diese Studie jedoch beantworten will, ist, ob die Herzfrequenzvariabilität für das Krafttraining einen nützlichen Indikator bezüglich der Regeneration und Bereitschaft des Körpers für ein erneutes Training darstellt. Das Problem ist jedoch, dass es nur wenige Daten gibt, die darauf hindeuten, dass die HRV dafür ein geeignetes Tool ist, oder sogar zeigen würden, dass sie mit der Leistung beim Krafttraining korrelieren würde.
Tatsächlich wurde die Nutzbarkeit der Herzfrequenzvariabilität für die Bereitschaft zum Krafttraining im Rahmen eines flexiblen Trainingsansatzes vorher nur einmal untersucht. In der Studie von Oliveira et al. ließ man eine Gruppe aus untrainierten Männern einen festen Trainingsplan dreimal pro Woche ausführen und die andere Gruppe den gleichen Trainingsplan, wobei dann wieder erneut trainiert wurde, wenn die HRV auf ihr Ausgangsniveau zurückgekehrt war [2]. Beide Gruppen mussten insgesamt 20 Trainingseinheiten absolvieren.
Am Ende unterschieden sich die Fortschritte in Sachen Kraft und Muskelaufbau nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die HRV-Gruppe im Durchschnitt lediglich rund fünf Wochen zum Absolvieren der Intervention benötigte, während die Gruppe mit drei wöchentlichen Einheiten wie vorgesehen knapp sieben Wochen dafür brauchte. Das klingt zunächst positiv, denn die HRV-Gruppe baute in kürzerer Zeit die gleiche Kraft und Muskelmasse auf. Allerdings könnte man argumentieren, dass die unerfahrenen Probanden in dieser Studie lediglich nicht so viel Regeneration benötigten. Wahrscheinlich wäre auch die Gruppe mit dem festen Plan in der Lage gewesen mit vier Einheiten pro Woche diese Fortschritte zu erzielen.
Tatsächlich zeigte eine weitere Studie, dass es bei Trainingsanfängern keinen signifikanten Unterschied zu machen scheint, wenn sie drei Tage pro Woche in Folge trainieren oder im Abstand von mindestens einem Tag zwischen den Einheiten trainierten [3]. Weiterhin scheint ein flexibler Trainingsansatz nur dann sinnvoll zu sein, wenn mindestens einer dieser beiden Faktoren erfüllt ist:
- Ein sehr beschäftigter Lebensstil, in dem das Management von Stress und Schlaf suboptimal sind
- Ein sehr harter Trainingsblock, in dem ständig ein hoher Grad an Muskelschäden und/oder Erschöpfung besteht
Wie viele Sätze pro Muskelgruppe und Woche sind optimal für das Muskelwachstum?
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Das Training in der Studie von Oliveira und Kollegen war recht gewöhnlich und erforderte wahrscheinlich wenig Flexibilität, besonders da jede Trainingseinheit ohnehin gleich war. Normalerweise umfasst ein flexibles Trainingsprogramm Einheiten mit verschiedenen Intensitäten und unterschiedlichem Volumen. Die Flexibilität bietet dabei die Möglichkeit, die anstehende Trainingseinheit nach der Regeneration auszuwählen. Eine weitere Frage, von der wir den Einsatz eines flexiblen Trainings abhängig machen sollten ist, ob es tatsächlich einen Unterschied macht.
Wahrscheinlich ergibt es Sinn, wenn man sich mit einem festen Trainingsplan sehr schlecht fühlt. Auf einer Skala von null bis zehn, wobei die Null einer miserablen Regeneration entspricht und du dich bei einer Zehn großartig fühlst, macht es wahrscheinlich schon einen Unterschied, ob du dich mit einem flexiblen Training auf einer Neun befindest und mit einem festen Plan bei einer Eins [4]. Wenn der Unterschied jedoch bei acht gegenüber sechs liegt, ist es dann wirklich relevant? Wahrscheinlich nicht und besonders dann nicht, wenn dein Training ohnehin relativ normal ist.
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Es ist also fragwürdig, ob das Design der Studie von Oliveira wirklich dafür geeignet ist, die Nutzbarkeit der Herzfrequenzvariabilität für das Krafttraining zu untersuchen. In der Wissenschaft ist es üblich, sich von Punkt A auf Punkt B vorzuarbeiten. In Sachen HRV sind wir damit wahrscheinlich jedoch von Punkt A auf Punkt C gesprungen. Bevor wir den Einsatz dieser Messgröße für die Bereitschaft zum Krafttraining untersuchen, sollten wir zunächst ermitteln, ob dieser Parameter tatsächlich einen Indikator für die Veränderung der Leistung darstellt.
Watkins et al. untersuchten 2017 an trainierten Männern und Frauen die erreichte Höhe in einem vertikalen Sprung und ließen sie dann vier Sätze Kniebeugen bei 80 Prozent ihres 1RM bis zum Muskelversagen ausführen [5]. Nach 48 Stunden wurde diese Prozedur wiederholt, wobei man einen signifikanten Rückgang der Leistung in beiden Übungen beobachtete, der miteinander korrelierte. Das wäre ein Schritt von Punkt A auf Punkt B. Punkt C würde dabei ein flexibler Trainingsansatz darstellen, in dem die vertikale Sprunghöhe als Indikator für die Bereitschaft für ein erneutes Training genutzt wird.
Für die Herzfrequenzvariabilität im Krafttraining haben wir einfach nicht genügend Daten, die darauf hindeuten würden, dass ein derartiger Zusammenhang für die Hauptübungen besteht. So nah wie möglich heran kommt eine Studie von Chen und Kollegen aus dem Jahre 2011. Dabei beobachtete man, dass die HRV sowie die Leistung in der Kniebeuge bei Gewichthebern in den Tagen nach einer harten Trainingseinheit fällt. Allerdings ermittelte man nicht, ob eine Korrelation zwischen diesen beiden Messgrößen bestand. Stattdessen beobachtete man aber, dass die subjektiven Muskelschmerzen sowie die Wiederherstellung der Creatin-Kinase-Spiegel den gleichen Verlauf nehmen wie die Variabilität der Herzfrequenz. Daher wäre es unpassend zu behaupten, dass die HRV der beste Indikator für die Regeneration sei.
Auch wenn die vorliegende Studie keine signifikante Korrelation zwischen der Herzfrequenzvariabilität beim Krafttraining und den anderen Regenerationsindikatoren zeigte, verpasste der Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit beim Kniebeugen und der im Stehen gemessenen HRV nach 24 Stunden die statistische Signifikanz nur knapp. Mit nur zehn Probanden in dieser Studie ist es sehr gut möglich, dass in einem größeren Feld eine signifikante Korrelation gezeigt worden wäre. Allerdings kann der Trend natürlich auch in die andere Richtung gehen.
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Darüber hinaus bleibt das Problem bestehen, dass wir nicht wissen, ob die Geschwindigkeit einer Kniebeuge mit geringem Gewicht oder die Herzfrequenzvariabilität beim Krafttraining einen guten Indikator für die Veränderung der Leistung darstellen. Auch wenn sich die Sprungkraft und die HRV in unterschiedlichen Zeiten regenerierten, lagen die prozentualen Veränderungen nicht besonders weit auseinander. Der Rückgang der vertikalen Sprungkraft betrug nach 24 Stunden 4,9 Prozent, wohingegen die liegende und stehende HRV um 4,6 und 2,0 Prozent geringer waren als vor dem Training.
Wir sollten jedoch zudem bedenken, dass obwohl die durchschnittlichen Veränderungen ähnlich ausfielen, die Parameter nicht auf der Ebene der einzelnen Person korrelieren müssen. Somit hätte die HRV nach 24 Stunden anzeigen können, dass erneut trainiert werden kann, dies jedoch für einige Personen nicht genug Regenerationszeit einräumt.
Fazit und Zusammenfassung
Insgesamt wirft diese Studie mehr Fragen auf als sie beantwortet. Man sollte daher vorsichtig sein, die Herzfrequenzvariabilität beim Krafttraining als den Goldstandard für die Regeneration anzusehen und noch vorsichtiger dabei, welche Art des Trainings ausgeführt werden sollte. Könnte die HRV dafür nützlich sein? Vielleicht. Beim Ausdauertraining hat es sich bereits als effektives Werkzeug bewährt [7]. Allerdings wird dieser Parameter schon seit Jahren untersucht und die Beweise für den Einsatz Herzfrequenzvariabilität beim Krafttraining sind nicht besonders stark.
Es ist möglich, dass einige Parameter für manche Menschen einen besseren Indikator der Regeneration und Leistung darstellen. So könnte es einige Versuche brauchen, um für dich persönlich herauszufinden, welche Faktoren du beobachten solltest. Zu guter Letzt bleibt zu sagen, dass man es nicht übertreiben sollte mit der Messung von derartigen Dingen. Hänge dich nicht an Kleinigkeiten auf, die am Ende des Tages für dich persönlich kaum einen Unterschied machen, und höre auf deinen eigenen Körper. Solange du dein Training absolvierst und dabei besser wirst, spielen solche Details eine untergeordnete Rolle.
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Primärquelle:
Michael C. Zourdos: „The Usefulness of Heart Rate Variability in Resistance Training is Tenuous“. Monthly Applications in Strength Sport (MASS), Volume 3, Issue 12
Literaturquellen:
- Flatt AA, Globensky L, Bass E, Sapp BL, Riemann BL. Heart Rate Variability, Neuromus-
cular and Perceptual Recovery Following Resistance Training. Sports. 2019 Oct;7(10):225. - de Oliveira RM, Ugrinowitsch C, Kingsley JD, da Silva DG, Bittencourt D, Caruso FR, Borghi-Silva A, Libardi CA. Effect of individualized resistance training prescription with heart rate variability on individual muscle hypertrophy and strength responses. European journal of sport science. 2019 Jan 30:1-9.
- Yang Y, Bay PB, Wang YR, Huang J, Teo HW, Goh J. Effects of consecutive versus non-consecutive days of resistance training on strength, body composition, and red blood cells. Frontiers in physiology. 2018 Jun 18;9:725.
- Laurent CM, Green JM, Bishop PA, Sjökvist J, Schumacker RE, Richardson MT, Curtner-Smith M. A practical approach to monitoring recovery: development of a perceived recovery status scale. The Journal of Strength & Conditioning Research. 2011 Mar 1;25(3):620-8.
- Watkins CM, Barillas SR, Wong MA, Archer DC, Dobbs IJ, Lockie RG, Coburn JW, Tran TT, Brown LE. Determination of vertical jump as a measure of neuromuscular readiness and fatigue. The Journal of Strength & Conditioning Research. 2017 Dec 1;31(12):3305-10.
- Chen JL, Yeh DP, Lee JP, Chen CY, Huang CY, Lee SD, Chen CC, Kuo TB, Kao CL, Kuo CH. Parasympathetic nervous activity mirrors recovery status in weightlifting performance after training. The Journal of Strength & Conditioning Research. 2011 Jun 1;25(6):1546-52.
- Vesterinen V, Nummela A, Heikura I, Laine T, Hynynen E, Botella J, Häkkinen K. Individual endurance training prescription with heart rate variability. Medicine and science in sports and exercise. 2016;48.